Das deutsche Wimbledonfinale – Michael Stich gegen Boris Becker
tennisnet.com blickt auf das historische deutsche Endspiel in Wimbledon vor 25 Jahren zurück.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
07.07.2016, 09:30 Uhr

Von Christian Albrecht Barschel
Der 7. Juli 1991 war ein historischer Tag für den deutschen Tennissport. Zum ersten und bis zum heutigen Tage letzten Mal standen sich zwei deutsche Spieler im Finale eines Grand-Slam-Turniers gegenüber - und das auch noch in Wimbledon beim prestigeträchtigsten Turnier der Welt. tennisnet.com blickt anlässlich des 25-jährigen Jubiläums auf das Wimbledonfinale zwischen Michael Stich und Boris Becker zurück.
Netzroller hält Stich im Turnier
An der Londoner Church Road wird im Sommer 1991 Deutsch gesprochen. Steffi Graf gewann gerade zum dritten Mal die Damenkonkurrenz in Wimbledon, da steht ein Tag später im Endspiel bei den Herren schon der nächste deutsche Tag ins Haus. Auf der einen Seite ist Boris Becker, dreimaliger Triumphator in Wimbledon und mit 17 Jahren jüngster Sieger bei den All England Lawn Tennis Championchips. Zum vierten Mal in Folge qualifizierte sich "Bum Bum Boris" für das Endspiel auf dem Centre Court, den er als sein Wohnzimmer bezeichnete. Mit der Finalteilnahme von Becker auf dem "Heiligen Rasen" war im Vorfeld schon zu rechnen. Die Endspielteilnahme von Michael Stich war dagegen zwar keine Sensation, jedoch war es schon eine kleine Überraschung, dass der damals 22-jährige Stich in das Finale an der Londoner Church Road einzog.
Dabei stand der Elmshorner im Achtelfinale des Turniers schon kurz vor dem Aus. In seinem Match gegen Alexander Volkov servierte der Russe bei 5:4 im fünften Satz zum Matchgewinn. Bei 30:30 spielte Stich den wohl spektakulärsten und glücklichsten Ball des Turniers. Eine Vorhand aus vollem Lauf, die von der Netzkante über Volkov hinweg noch auf die Seitenlinie trudelte. Volkov war mental erledigt, und Stich gewann den fünften Satz mit 7:5.
Im Viertelfinale revanchierte sich Stich dann gegen Jim Courier. Vier Wochen zuvor hatte er im Halbfinale bei den French Open in Paris auf Sand in vier Sätzen verloren. Auf Rasen in Wimbledon schoss er den US-Amerikaner in drei Sätzen ab. Im Halbfinale kam es dann zu einem legendären Duell mit dem Titelverteidiger und der Nummer eins der Welt, Stefan Edberg.
"Ohne Tiebreak würden wir heute noch spielen"
Ohne ein einziges Break schaffte es Michael Stich, den Schweden mit 4:6, 7:6 (5), 7:6 (5), 7:6 (2) zu besiegen. Kurioserweise verstarb an diesem Tag der Erfinder des Tiebreaks Jimmy van Alen, der das Tiebreak-Spiel im Jahre 1965 erfunden hatte. Edberg meinte darauf: "Wenn Jimmy van Alen nicht gelebt hätte, würden Michael und ich wohl noch dort draußen sein und spielen."
Durch den Sieg gegen Edberg machte Stich nicht nur Becker zur neuen Nummer eins in der Weltrangliste, sondern bescherte dem deutschen Tennissport auch das erste Grand-Slam-Finale zwischen zwei deutschen Tennisspielern. Im Endspiel sind die Verhältnisse klar verteilt. Als klarer Außenseiter geht Stich gegen seinen Landsmann in sein erstes Finale bei einem Grand-Slam-Turnier.
Doch von Nervosität ist dem gebürtigen Pinneberger nichts anzumerken. Stattdessen scheint Stich diese einmalige Situation eher zu beflügeln, während Becker wie gelähmt agiert. Gleich beim ersten Aufschlagspiel von Becker gelingt Stich das Break zum 1:0. Zwar schafft es der Leimener, seinem Landsmann den Aufschlag zum 3:3 abzunehmen, jedoch macht Stich mit starken Returns das erneute Break zum 4:3. Schließlich sichert er sich mit 6:4 den ersten Durchgang.
Becker schimpft wie ein Rohrspatz
Im zweiten Satz scheint sich das Blatt zu wenden und Becker mit der ungewohnten Situation, gegen einen Landsmann im Wimbledonfinale zu spielen, besser zurechtzukommen. Nach einem Break zum 3:1 sind sich wohl die meisten Zuschauer einig, dass der Weg für Beckers vierten Wimbledontitel geebnet ist. Doch Stich bleibt cool, er schafft sofort das Rebreak zum 3:2. Becker verliert nun immer mehr die Fassung und beginnt, wie ein Rohrspatz zu schimpfen. "Rüber, Rüber" und "Ich spiele mir einen Mist zusammen", lamentiert der damals 23-Jährige auf dem "Heiligen Rasen".
Der zweite Satz geht schließlich in den Tiebreak, wo Stich im Stile eines Weltklassespielers völlig abgeklärt agiert und sich mit einem Ass zum 7:4 auch den zweiten Satz sichert. Auch die größten Skeptiker müssen nun erkennen, dass der Elmshorner auf dem Weg zu seinem ersten Grand-Slam-Sieg ist. Während Becker im dritten Satz schließlich mehr und mehr die Fassung verliert, bleibt Stich völlig ruhig und beginnt, die Partie zu dominieren.
Becker fängt langsam an, total frustriert zu wirken und schimpft weiter mit sich selbst. "Mein schlechtestes Match spiele ich im Wimbledonfinale" und "Ich mag nicht mehr" flucht der Leimener auf dem Platz. Während Stich seine Aufschlagspiele souverän durchbringt, hat Becker bei seinem Service große Mühe und muss in jedem Spiel Breakchancen abwehren. Doch acht Breakbälle reichen Stich nicht, um die Vorentscheidung herbeizuführen.
"Game, Set and Match Becker"
Bei 4:5 serviert Becker gegen den Matchverlust. Nach einem stark herausgespielten Punkt und einem leichten Volleyfehler Beckers, bei dem Stich auf dem Rasen ausrutscht, steht es 0:30. Doch ein Ass und ein Returnfehler lassen Becker wieder auf 30:30 herankommen. Dann folgt der dramatischste und beste Ballwechsel der Partie. Wie gewohnt stürmt Becker mit Serve-and-Volley nach vorne und stürzt dabei auf den Rasen. Stich ist gezwungen, nach vorne zu kommen und schließt den Ballwechsel mit einem Volleypunkt ab. 30:40 und Matchball. Die Überraschung ist zum Greifen nahe.
Stich wirkt völlig konzentriert, während Becker zur Aufschlaglinie geht und seine übliche Aufschlagbewegung vollzieht. Aufschlag durch die Mitte, Stich streckt sich zur Vorhand und returniert longline am chancenlosen Becker vorbei. Es ist vollbracht! 6:4, 7:6, 6:4. Michael Stich gewinnt Wimbledon! Er stößt einen Jubelschrei aus, wirft seinen Schläger weg und fällt auf die Knie, während sein Vater Detlef in der Spielerbox das Geschehen auf Video festhält. Am Netz umarmen sich die beiden Deutschen. Stich kann noch nicht begreifen, was er gerade erreicht hat.
Auch der Stuhlschiedsrichter John Bryson scheint von der Leistung von Stich überrascht gewesen zu sein und ruft "Game, Set and Match Becker" in das Mikrofon. Dieses birgt eine gewisse Ironie in sich, denn auch am Tag seines größten Triumphs steht Michael Stich teilweise im Schatten von Boris Becker. Der Startschuss für eine große deutsche Rivalität war erfolgt.
Stich schöpft Talent nicht aus
Obwohl Stich von allen Seiten Lob empfing und ihm weitere Grand-Slam-Siege zugetraut wurden, blieb der Wimbledonsieg sein größter Erfolg. "Wenn alle ihr bestes Tennis spielen, ist Stich der Beste", sagten Pete Sampras und Jim Courier einmal unisono über den Deutschen. Allein schon diese Aussage belegt das große Talent des Elmshorners. Doch zu selten konnte Stich sein spielerisches Potenzial abrufen.
Die Niederlage im Wimbledonfinale war die wohl bitterste in der Karriere von Becker. Zwei Jahre später im Viertelfinale trafen sich die beiden Deutschen erneut auf dem "Heiligen Rasen", wo Becker Revanche nehmen konnte. Doch das ist eine andere Geschichte. Den Wimbledontitel 1991 konnte Stich niemand mehr nehmen. Übrigens:Im April 1991 hatte der ehemalige Fußballprofi Karl-Heinz Rummenigge noch süffisant prophezeit. "Der 1. FC Kaiserslautern als Deutscher Fußballmeister, das wäre ja, als ob Michael Stich Wimbledon gewinnen würde." Drei Monate später war beides eingetroffen und die Welt um eine berühmte Fehleinschätzung reicher.