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Wimbledon: Nick Kyrgios – Tickende Zeitbombe?

Drei Tage sind nun rum, seit dem Zweitrundenmatch zwischen Nick Kyrgios und Rafael Nadal, dem bisherigen Highlight im Herrenfeld in Wimbledon. Was aber nehmen wir daraus mit? Ein paar Gedanken.

von Florian Goosmann aus Wimbledon
zuletzt bearbeitet: 07.07.2019, 10:16 Uhr

Nick Kyrgios
© Getty Images
Nick Kyrgios

Zum einen natürlich: dass Kyrgios, wenn er Lust hat, eine Bereicherung fürs Tennis ist. Kyrgios gegen Nadal war das meistgesehene Herrenmatch der ersten Woche im britischen TV, und das nicht umsomst (ganz vorne: das Comeback-Spiel von Teenie-Sensation Cori Gauff).

Kyrgios‘ Tennis ist eine Bereicherung, vor allem, wenn er spielt wie gegen Nadal: konzentriert und mit dem Kopf bei der Sache. Was leider zuletzt nicht sehr oft der Fall war. Kyrgios‘ Kunststückchen und Trickschläge haben in den vergangenen Monaten überhand genommen, das Bedürfnis, jeden Ball zu einem besonderen zu machen, auch wenn die einfache Hausmannskost gereicht hätte. Okay: Zwei Aufschläge von unten waren auch gegen Nadal dabei, wobei man die Frage stellen muss, ob der Aufschlag von unten als „Trickschlag“ gelten sollte oder nicht. Persönliche Ansicht: Nein. Er ist ein taktisches Mittel.

Kyrgios Laune wechselt innerhalb von Sekunden 

Dennoch müssen wir darüber sprechen, ob der Australier gut fürs Tennis ist, wenn wir „Tennis“ weit fassen: das Spiel auf dem Platz, aber auch, was es sonst ausmacht oder verkörpert. Einen Sport, bei dem Respekt und Anstand herrschen sollten. Bei dem es darum geht, das Beste zu geben, auf und neben dem Platz, bei der Vorbereitung oder im Nachklapp. Und darum, fair zu agieren, den Gegner zu schätzen. Trotz allem Gewinnen-wollen. Und diese Eigenschaften fehlen Kyrgios komplett. (Im Gegensatz zu früheren "Tennis-Rüpeln" wie John McEnroe oder Jimmy Connors, die zumindest immer gewinnen wollten.)

Was ebenfalls auffällt, sind die Stimmungsschwankungen. Kyrgios‘ Laune kippt in beängstigender Form innerhalb von Sekunden. Kleines Beispiel aus der Presserunde. Ein Kollege stellte dem Australier nach dem Nadal-Match die berechtigte Frage, warum er den Aufschlag von unten nur zwei Mal eingesetzt habe, obwohl er doch beide Punkte gemacht hatte.

Antwort Kyrgios: „Ich weiß es nicht, Mann. Wenn ich etwas Ungewöhnliches mache, werde ich in den Medien gegrillt. Also dachte ich, diesmal gehe ich professionell ran und serviere normal. Das habe ich gedacht.Nein, nur Spaß. Ich wollte einfach keinen weiteren schlagen. Oh, mach mich blöd an, weil ich keinen Aufschlag von unten gegen Rafa auf dem Centre Court geschlagen habe. Was willst du von mir, Mann!? Ich weiß nicht, was du von mir willst!“

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Kyrgios' Abschussversuch (noch) ohne Folgen

Ähnlich wie diese Antwort innerhalb von Sekunden von Freundlichkeit auf Wut umschwenkte, tickt Kyrgios auch auf dem Court. Im einen Moment offenbart er fast übertriebenes Fairplay, wenn er Nadal empfiehlt, einen Aufschlag zu challengen (zu seinen Ungunsten). Im nächsten zielt er voll auf den Körper, ohne sich zu entschuldigen und begründet dies im Rahmen der Pressekonferenz damit, Nadal habe so viel Geld auf dem Konto, dass er wohl auch einen Abschuss verkraften könne.

Natürlich, wir kennen das ja aus dem Clubtennis: Ein Abschuss kann lustig sein. „Haha, jetzt steht ‚Wilson‘ bei dir auf der Brust.“ Aber es ist halt nur lustig, bis etwas passiert.

Und ab einem gewissen Punkt wird es gefährlich, wie Nadal zurecht erklärte: Er, Nadal, könne Bällen wie der Vorhandschleuder von Kyrgios ausweichen. Er wisse aber, wie leicht ein solcher Schlag auch völlig daneben gehen könne, Kyrgios damit einen Zuschauer oder Linienrichter böse verletzen könnte. Und zur Erinnerung: Dem ersten Abschussversuch war Nadal ausgewichen, der Ball schlug auf direktem Wege an der (leeren) Bande ein.

Muss erst etwas passieren?

Denis Shapovalov schoss vor zwei Jahren vor Wut über eine verschlagene Rückhand einen Ball in die Prärie und traf Schiedsrichter Arnaud Gabas voll am Auge - Augenhöhlenbruch. Shapovalov kam mit dem Schrecken davon und versprach, daraus zu lernen.

Auch Stefan Edberg, der bedächtige Schwede, musste einst die Erfahrung machen, dass Tennis böse enden kann. 1983 beim Jugendturnier der US Open traf er einen Linienrichter mit einem Aufschlag am Unterleib – unabsichtlich. Der Mann stürzte unglücklich vom Stuhl, knallte mit dem Kopf auf den Hartplatz, zog sich einen Schädelbruch zu und verstarb. Dieses tragische Beispiel zeigt: Tennis ist gefährlich, selbst wenn man es „nur“ normal spielt.

Vom „normalen“ Tennis entfernt sich Kyrgios jedoch immer weiter. Er wirkt in den vergangenen Monaten wie eine tickende Zeitbombe – kaum ein Spiel geht ohne Skandal über die Bühne. Es scheint, als müsse erst etwas Schlimmes passieren, bevor er irgendeine Art der Einsicht zeigen würde und womöglich einen Versuch der Besserung.

Es wäre bitter, wenn es erst so weit kommen muss.

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von Florian Goosmann aus Wimbledon

Sonntag
07.07.2019, 13:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 07.07.2019, 10:16 Uhr

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