McEnroe preist das College
Das US-amerikanische College-Sport-System bietet eine weltweit einzigartige Chance, sich auf das Leben auf der Tennistour vorzubereiten. Geht es nach John McEnroe, sollten viel mehr jüngere Spieler diese Chance nutzen.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
14.09.2017, 08:01 Uhr
Lediglich besonders gut informierte Tennisfreunde werden sich daran erinnern, dass John McEnroe jemals ein College besucht hat. Wenn auch nur für ein Jahr. Die allgemeine Wahrnehmung Ende der 1970er-Jahre war eher: Der charismatische Linkshänder ist wie aus dem Nichts auf der ATP-Tour erschienen. Tatsächlich hatte McEnroe 1977 als Amateur das Mixed-Doppel bei den French Open gewonnen, war danach als Qualifikant in das Halbfinale von Wimbledon eingezogen. Und hatte sich dennoch dafür entschieden, die Universität in Stanford zu besuchen.
Sportlich gesehen eine gute Entscheidung: 1978 gewann John McEnroe sowohl im Einzel als auch im Doppel die nationalen College-Titel, danach erklärte er sich bereit für die Herausforderungen des Herren-Tennis. Das Jahr in Stanford will er indes nicht missen.
"Als ich auf das College gekommen sind, haben alle gegen mich gewinnen wollen. Ich war der Gejagte, nicht der Jäger. Dieses eine Jahr, dass ich mir am College gegönnt habe, war wirklich hilfreich für mich. Das sollten mehrere Kinder versuchen", wird McEnroe in der New York Times zitiert.
Beispiel Anderson
Anlass der persönlichen Rückschau ist natürlich der Einzug von Kevin Anderson in das Finale der US Open 2017. Der Südafrikaner hat drei Jahre lang für die Universität von Illinois gespielt, ist erst danach Profi geworden. Und er war der erste ehemalige College-Spieler seit Todd Martin 1999, der das Finale eines Grand-Slam-Turniers erreicht hat. Auch John Isner und Steve Johnson blicken auf Monate oder gar Jahre von Erfahrungen an US-amerikanischen Bildungs-Instituten zurück.
"Schaut Euch Anderson an", so McEnroe weiter. "Er ist auf ein College gegangen und steht im Finale der US Open. Das sollte vielen Jugendlichen eine Warnung sein, die zu schnell zu den Profis kommen."
Der Duft der weiten Welt
Ob McEnroe damit jemanden wie Catherine Bellis gemeint hat? Die 18-Jährige wollte eigentlich ebenfalls in Stanford die Universität besuchen, entschied sich aber vor knapp einem Jahr doch, es als Tennisprofi zu versuchen. Mit bislang ausgezeichnetem Erfolg, schließlich rangiert Bellis im Moment auf Position 42 der Welt, hat sowohl in Mallorca und, ja, in Stanford jeweils das Halbfinale erreicht.
Nicht ganz so klar ist die Gemengelage bei Sofia Kenin, ebenfalls 18 Jahre alt, ebenfalls für die USA am Start, wenn auch in Moskau geboren. Kenin hat bei den US Open ihre Wildcard optimal genutzt, zwei Runden gewonnen, dann im Arthur Ashe Stadium gegen Maria Sharapova erstmals den Duft der großen, weiten Tenniswelt eingeatmet. Tief genug, um sich gegen das College und für den Beginn einer Profikarriere zu entscheiden.
Für John McEnroe grundsätzlich eine Entscheidung, die sorgfältig vorbereitet sein sollte: Schließlich sei es anno 2017 deutlich schwieriger, einen Fuß in das Erwachsenentennis zu bekommen als noch zu seiner besten Zeit.