Anna-Lena Friedsam – Knallerfrau im Grand-Slam-Theater
Die 21-jährige Deutsche steht in Melbourne erstmals in einem Grand-Slam-Achtelfinale.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
22.01.2016, 10:12 Uhr

Auf die Frage nach ihrer Lieblingssendung im Fernsehen hat Anna-Lena Friedsam kürzlich nicht lange überlegen müssen: "Knallerfrauen mit Martina Hill." Eine Knallerfrau indes war auch am ganz frühen Freitagmorgen im Fernsehen und im National Tennis Center von Melbourne zu bestaunen, bei den Australian Open. Anna-Lena Friedsam selbst war das, am größten Tag ihrer Tenniskarriere, am Tag ihres beeinduckendsten Sieges - zur rechten Zeit am rechten Ort, auf einer der vier Grand-Slam-Bühnen. 0:6, 6:4 und 6:4 schlug Friedsam die an Nummer 13 gesetzte Italienerin Roberta Vinci, ja, genau jene Vinci, die in der vergangenen Saison den mächtigen Siegeslauf von Serena Williams bei den US Open kunstfertig gestoppt hatte und ins Turnierendspiel dort eingezogen war. "Es fällt mir schwer zu glauben, was gerade passiert. Das ist wie im Traum", sagte die 21-jährige Oberdürenbacherin (bei Andernach) nach ihrem Sensationscoup. Nun muss sie am Sonntag gegen die polnische Weltranglisten-Vierte Agnieszka Radwanska antreten.
28 bitterböse Minuten weggesteckt
Das erstaunliche Comeback nach einem kapitalen Fehlstart, dieser großartig in Szene gesetzte Umschwung verfestigte so auch einen Trend in dieser ersten Australian-Open-Woche: Denn nicht das Establishment im deutschen Frauentennis sorgte in Melbourne vornehmlich für Furore, sondern die Spielerinnen aus der zweiten Reihe oder aus dem Talentschuppen von Barbara Rittner. Annika Beck und Laura Siegemund, die am Samstag gegeneinander um einen Platz im Achtelfinale kämpfen. Und eben jene Anna-Lena Friedsam, die mit ihrer hellwachen Einstellung, großem Kämpfergeist und wuchtigen Schlägen zum ersten Mal in die zweite Woche eines Tennis-"Majors" stürmte. "Anna-Lena hat enorme Fortschritte gemacht", sagt Fed-Cup-Chefin Rittner über die lebensfrohe Rheinländerin, die schon im vergangenen Jahr einmal ihre gewaltigen Möglichkeiten gewaltig angedeutet hatte. Bei den French Open hatte Friedsam damals Wuchtbrumme Serena Williams am Rande der Niederlage, gewann sogar den Auftaktsatz gegen die Weltranglisten-Erste. "Es hat mir trotzdem Mut gegeben damals. Ich habe gesehen, dass ich auch mit den Besten mithalten kann."
Der beste Rat, den sie als Tennisspielerin jemals bekommen habe, sei der gewesen, "die Atmung zu kontrollieren", sagt Friedsam, "du musst die Beherrschung über dich haben, darfst nicht in Panik geraten." Genau diese Kontrolle brauchte und zeigte sie auch bei ihrem Entfesselungsakt gegen Vinci, in einem Spiel, in dem sie nach 28 bitterbösen Minuten 0:6 zurücklag. Friedsam, schon sehr gereift in jungen Profijahren, drückte innerlich die Neustart-Taste und war fortan kaum noch zu bremsen. Wie sie im allerletzten Spiel, unter höchstem Druck, ganz souverän ihren Aufschlag zum Triumph durchbrachte, das kam schon der eigenen, selbst so formulierten Idealvorstellung nahe: "Ein Match mit dominanten, selbstbewussten Schlägen durchzuspielen."
300-Seelen-Örtchen als Kraftquelle
Heimat, das kleine 300-Seelen-Örtchen Oberdürenbach, ist Rückzugspunkt und Kraftquelle für die hellwache Athletin. "Dort tanke ich immer neue Energie für die nächsten Turniere, es ist eine Wohlfühl-Oase." Friedsam wäre einst beinahe im Frauenfußball gelandet, doch auf sanfte Einflussnahme der Eltern hin entschied sie sich, ihr Glück und Auskommen im Tennis zu suchen. Zweigleisig fuhr sie dennoch, legte neben dem sportlichen Karriereaufbau noch ein Einser-Abitur im Fernstudium ab, "einfach, um eine gewisse Absicherung zu haben."Im langjährigen Übungsleiter Bijan Wardjawand hat Friedsam einen klugen Kopf zur Seite, der sich nicht einfach nur um Vor- und Rückhand oder um den perfekten Volley kümmert, sondern um die Entwicklung der Persönlichkeit. "Man muss eine Spielerin vor allem auch zur Eigenverantwortung erziehen", sagt der Coach, "Anna-Lena hat sich sehr viel mit Taktik, Trainingsprogrammen und Matchführung beschäftigt."
Friedsam steht gerade auf Platz 82 der Weltrangliste. Aber das kann nur eine Zwischenetappe, eine Durchgangsstation sein für eine, die das Potenzial für Größeres hat - und die ganz schnell auch in die Liga der bekannteren Deutschen aufrücken kann, der Kerbers oder Petkovics. Vor allem dann, wenn sie diese faszinierende Angriffswucht, das präzise Powerspiel noch regelmäßiger und selbstbewusster auf die Centre Courts zaubern kann. "Ich traue mir inzwischen schon viel mehr zu. Aber da ist noch Raum, sich zu steigern", sagt Friedsam. Lust darauf hat sie, auch auf den härteren Aufstiegsweg, auch auf die zwangsläufig kleineren Schritte jetzt nach oben: "Man muss Spaß daran haben, was man macht. Und den habe ich", sagt sie, "und man muss die Bereitschaft mitbringen, jeden Tag sein Bestes zu geben. Nur so entsteht Erfolg." Vielleicht auch gegen Turniermitfavoritin Radwanska am Sonntag.