Prophet Federer – "Roger hat's wohl verschrien"

Österreichs langjährige Spitzenkraft Jürgen Melzer beweist bei den Australian Open, es noch keineswegs verlernt zu haben. Und hat nun ein ganz besonderes Match vor sich.

von Interview: Manuel Wachta
zuletzt bearbeitet: 14.01.2017, 19:16 Uhr

Jürgen Melzer war im ersten Moment nicht unbedingt von einem Rendezvous mit Roger Federer angetan

Totgesagte leben länger. Mit seinen 35 Jahren versucht Jürgen Melzer, nach Verletzungspech nochmals in die erweiterte Weltspitze zurückzukehren. Eine Hoffnung, die dieser Tage wieder frische Nahrung erhalten hat. Denn der Niederösterreicher meisterte bei den Australian Open in Melbourne durch ein 6:2, 3:6, 6:3 gegen Joris De Loore (Belgien), ein 6:3, 6:2 gegen Taro Daniel (Japan/13) und letztlich ein 6:2, 3:6, 6:3 über Rajeev Ram (USA/20) die Qualifikation. Der ehemalige Weltranglisten-Achte steht damit das 52. Mal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers. Wo ihm ausgerechnet der 17-malige "Major"-Sieger Roger Federer zugelost wurde, was der "Maestro" zuvor offenbar bereits verschrien hatte. Wie, das lest ihr hier im Interview, das tennisnet.com am heutigen Samstag mit Melzer geführt hat: zu seinem immer erfreulicher anlaufenden Comeback, zu einem zumindest familienhistorischen Ereignis mit Bruder Gerald und natürlich zum Showdown gegen Federer.

tennisnet.com: Herzlichen Glückwunsch zur geschafften Qualifikation! Wenn man Fotos von dir mit der Betitelung "Die Freude von Jürgen Melzer" richtig interpretiert, war diese offenbar so groß, dass du auf dem Platz einen Purzelbaum geschlagen hast.

Jürgen Melzer: Nein, es war leider unfreiwillig. Ich bin gegen Ende der Partie gestolpert und auf den Boden geflogen. Ich freue mich zwar über den Sieg. Aber so viel Respekt vor meinem Gegner habe ich, um so etwas nicht zu machen. Und so kuschelig ist der Hartplatz ja nun auch nicht. (lächelt)

tennisnet.com: Ist heute so ein Tag, an dem man ganz besonders weiß, warum man sich denn das alles nochmal angetan hat, mit 35 Jahren auf die Tour zurückzukehren?

Melzer: Ja, klar. Ich freue mich riesig drüber und dass sich die ganze, harte Vorbereitungszeit ausgezahlt hat, aber gestern gegen Taro Daniel war's irgendwie fast cooler, weil ich aus einem Guss gespielt habe, wirklich sehr, sehr gutes Tennis gezeigt habe. Bei Ram heute, da habe ich gewusst, dass das gegen ihn gar nicht geht. Auch, da es zu windig war. Heute hat nur gezählt, als Sieger vom Platz zu gehen. Und das habe ich gemacht.

tennisnet.com: Wie ordnest du es jetzt in der Liste deiner Erfolge ein, beim - wie du ja selbst sagst - schwersten Comeback deiner Karriere?

Melzer: Es ist sicher ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Es wird zwar so (Betonung auf "so"; wegen der schweren Auslosung im Hauptfeld; Anmerkung) schwierig, weitere ATP-Punkte zu holen. Aber das Ziel, die Qualifikation zu überstehen, habe ich erreicht. Wichtig ist für mich aber, dass ich auch wieder ganz ordentlich Tennis spiele. Da freue ich mich darüber, und ich merke außerdem, dass die Leute inzwischen schon gut spielen müssen, wenn sie mich besiegen wollen.

tennisnet.com: Zum ersten Mal stehen zwei Melzers in einem Grand-Slam-Hauptfeld, mit dir und deinem jüngeren Bruder Gerald. Wie stolz macht das?

Melzer: Ja, extrem. Wir haben heute nach meinem Match auch darüber gesprochen. Als er als kleiner Junge angefangen hat zu spielen - sich das zu erträumen, das wäre damals wohl nicht in unsere Köpfe gekommen. Aber er hat sich das erarbeitet, er steht absolut mit Recht hier im Main Draw, und das taugt mir natürlich.

tennisnet.com: Einzig dein Los hätte aus sportlicher Sicht besser sein können: Es wartet nun Roger Federer.

Melzer: Es hätte um einiges besser sein können. Es hätte ein paar Draws gegeben, wo ich mir echt zugetraut hätte, weit zu kommen. Ich bin natürlich Außenseiter, aber mal sehen, wie er so ins Turnier hineinfindet, nach der langen Zeit. Er hat zwar den Hopman Cup gespielt, aber das hat mehr Exhibition-Charakter. Ich werde jedenfalls mein Bestes geben, und dann werden wir am Montag sehen, was dabei herauskommt.

tennisnet.com: Und was ist dir durch den Kopf gegangen, als du erfahren hast, dass es gegen Federer geht?

Melzer: Als Erstes natürlich mal: "Na, bitte nicht." Aber man kann's ja nicht ändern und muss nehmen, was kommt - und das Beste daraus machen. Witzig ist, dass ich ihn heute, als ich auf mein Match gewartet habe, erstmals seit langem wieder gesehen habe. Er hat mir "viel Glück" für mein Spiel gewünscht und dann gesagt: "Wir sehen uns im Hauptfeld." Ich habe ihm noch geantwortet: "Hör' auf mit dem Scheiß." Er hat's wohl verschrien. (lächelt)

tennisnet.com: Anscheinend... Vor seiner Laufbahn kann man jedenfalls nur den Hut ziehen, und wenn über den besten Spieler aller Zeiten diskutiert wird, fällt meistens zuerst sein Name. Wie siehst du das? Ist er für dich der Größte aller Zeiten?

Melzer: Von den Erfolgen her ist er es selbstverständlich. Novak (Djokovic; Anmerkung) hat den Tennissport in den letzten Jahren zwar auch sehr dominiert, allerdings auf eine andere Art und Weise. Man muss wohl zwischen Rod Laver und Roger entscheiden.

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tennisnet.com: Mit ihm steht dir ein ungemein variantenreicher und der nach Djokovic wohl kompletteste Spieler überhaupt gegenüber. Auch wenn du sicherlich keinen Einblick in deine taktischen Pläne geben willst: Wie kann man so einen Alleskönner ärgern?

Melzer: Das Wichtigste ist, dass man daran glaubt, gewinnen zu können. Wenn du reingehst, nur um gegen ihn zu spielen, dann wird's extrem schwer.

tennisnet.com: Er gibt zwar so wie du sein Comeback, aber für ihn ist es überhaupt das erste Turnier seit Wimbledon Anfang Juli des Vorjahres. Ist das vielleicht sogar ein kleiner Vorteil für dich?

Melzer: Ich weiß nicht, ob das deshalb ein Vorteil ist, aber bei ihm gibt es derzeit doch so ein paar Fragezeichen. Es ist sicher besser, jetzt gegen ihn zu spielen als bei einer Siegesserie von 25 Matches. Aber er spielt lange genug Tennis, sodass er eine solche nicht zwingend braucht.

tennisnet.com: Was nimmst du dir fürs Match nun vor? Das einfach zu genießen, wieder mal vor so einer Kulisse in der Rod Laver Arena zu spielen?

Melzer: Ja, klar. Aber wenn er einen vom Platz schießen sollte, genießt man keine Sekunde. Das kann man nur dann, wenn man ein gutes Match spielt und sich seine Chancen erarbeitet. Das ist das Ziel.

tennisnet.com: Kurz noch zu den anderen zwei Österreichern. Dein Bruder Gerald hat ja den erst 17-jährigen, australischen Wildcard-Spieler Alex De Minaur gezogen. Du hast gegen ihn bereits gespielt. Wirst du Gerald da ein paar Tipps geben?

Melzer: Natürlich gebe ich ihm Tipps. Ich habe als einer von Wenigen bei den Herren schon gegen De Minaur gespielt, sonst ist er noch relativ unbekannt. Er ist ein unglaubliches Talent, hat jetzt zu Saisonbeginn auf der ATP-Tour weitere richtig gute Spieler geschlagen, und sein momentanes Ranking (ATP-Rang 333; Anmerkung) entspricht sicher nicht seiner Spielstärke. Aber ich habe bei Gerald eigentlich ein gutes Gefühl.

tennisnet.com: Und wie siehst du die Form von Dominic Thiem und seine erste Aufgabe Jan-Lennard Struff?

Melzer: Ich habe zuletzt das eine oder andere Match von ihm hier auch gesehen, jenes gegen Gastao Elias sowie den ersten Satz gegen Daniel Evans in Sydney. Seine Form ist, glaube ich, nicht so schlecht. Klar, er hat in Brisbane und dort jeweils sein zweites Match verloren. Er hat halt ein paar zu viele Fehler gemacht. Aber wenn er diese minimiert, wird er gewinnen. Struff ist ein unangenehmer Gegner, der kann schon gut spielen. Es wird also kein Selbstläufer, aber es würde mich überraschen, wenn Dominic verlieren sollte. Er wird jedenfalls schon eine gute Leistung brauchen.

Jürgen Melzer im Steckbrief

von Interview: Manuel Wachta

Samstag
14.01.2017, 19:16 Uhr