Australian Open: Rafael Nadal - Der unwahrscheinlichste Sieg von allen

Rafael Nadal holte am Sonntag seine 21. Grand-Slam-Trophäe - und überraschte damit die gesamte Tenniswelt.

von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet: 30.01.2022, 20:25 Uhr

Rafael Nadal siegte zum zweiten Mal in Melbourne
© Getty Images
Rafael Nadal siegte zum zweiten Mal in Melbourne

Seit er mit 19 Jahren als zupackender Debütant erstmals die French Open gewann, hatte Rafael Nadal immer wieder die Tennis-Geschichtsbücher umgeschrieben und Bestleistungen pulverisiert. Er machte Roland Garros zu seinem roten Paradies, er gewann alle Grand Slam-Turniere, er wurde neben Roger Federer und Novak Djokovic zum größten Spieler der goldenen Epoche seines Sports. Superlative sind schnell und zuverlässig gefunden bei Nadal, dem unverwüstlichen Gladiator der Centre Courts  – aber dennoch: Seinen allergrößten und unwahrscheinlichsten Sieg, sein eindrucksvollstes Comeback überhaupt in mehr als anderthalb Jahrzehnten im Wanderzirkus feierte der legendäre Mallorquiner in der denkwürdigen Finalnacht der Offenen Australischen Meisterschaften 2022. 

Als er nach fünf Stunden und 24 Stunden einen unglaublichen Entfesselungsakt geschafft und einen schier aussichtslosen 0:2-Satzrückstand gegen Daniil Medvedev (Russland) noch in einen 2:6, 6:7, 6:4, 6:4, 7:5-Marathontriumph umgebogen hatte, war Nadal auf einmal der alleinige Spitzenreiter im faszinierenden Kampf um Grand Slam-Rekorde. Doch jenseits der imponierenden Zahlen – Nadal nun mit 21 Siegen, dahinter Roger Federer und Novak Djokovic mit 20 -, stand eine Titelmission in Melbourne, die ihresgleichen suchte, auch und besonders noch einmal im letzten Centre Court-Duell. „Ich hätte jeden für verrückt erklärt, der mir das vor einem halben Jahr gesagt hätte“, sagte Nadal in dieser außergewöhnlichen Australian Open-Nacht – der Mann, der vor einigen Wochen noch wegen seiner komplizierten Fußverletzung über ein Karriere-Aus grübeln musste.

Nadal: "Eines der emotionalsten Matches"

Ein Wunder? Ein Märchen? Ein Mysterium? Hexerei, Zauberei? Irgendwie alles zusammen. Was wohl auch Nadal dachte, als er nach seiner verwegenen Aufholjagd am Netz stand und, soeben zum zweiten Mal Melbourne-König geworden, vor lauter Verblüffung erst mal nur flüchtig grinste. Und dann lange mit dem Kopf schüttelte, als müsse er sich selbst fragen, wie das alles passieren konnte. „Ich habe einfach das gemacht, was mich immer stark gemacht hat: An mich glauben, in jeder Sekunde“, sagte er später, „es war eines der emotionalsten Matches in meinem Leben.“ 

0:2-Sätze lag er bereits hinten gegen den trickreichen Moskowiter Medvedev, dazu hatte er bei einem 2:3-Defizit im dritten Akt noch drei Breakbälle gegen sich, bei 0:40. Doch Nadal wehrte das Unheil in der Paraderolle des willensstarken Fighters ab, er glich zum 3:3 aus, er gewann den dritten Satz, er gewann den vierten Satz. Und er, der zehn Jahre ältere Spieler, war im fünften Durchgang plötzlich der frischere, entschlossenere, willensstärkere Spieler – von Müdigkeit jedenfalls keine Spur. Einen kurzen Schwächemoment überwand er auch noch: Bei einer 5:4-Führung servierte er erstmals zum Matchgewinn, kassierte ein Break. Nahm aber umgehend Medvedev wieder den Aufschlag ab und ging mit 7:5 durchs Ziel. Erstmals in der modernen Tennisära war somit auch ein Finalcomeback nach 0:2-Auftaktminus in Melbourne perfekt.

Oben auf der Ehrentribüne zückte da auch Rod Laver, der Namensgeber des Centre Court, sein Smartphone und hielt die geschichtsträchtigen Szenen in der Arena fest. Nadal, der nach der ersten Verwunderung über diesen Triumph auf die Knie ging und die Fäuste zum Himmel ballte. Nadal, der den Pokal aus den Händen des ehemaligen Gewinners Jim Courier erhielt und ihn überglücklich den Fans präsentierte. Nadal glückselig zusammen mit seinem Team um Chefcoach Carlos Moya. Ein „Phänomen“ sei dieser Kerl, gab Altmeister Laver zu Protokoll, „er macht Dinge möglich, die unmöglich sind.“

Krönender Abschluss

Begonnen hatten die Australian Open ja lange vor den ersten Ballwechseln mit der leidigen Affäre um den Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. Es war großes Drama, weit abseits vom Centre Court. Es ging um Visafragen, um Impfung, um Paragrafen, schließlich um Einreise oder Ausweisung. Doch als die Grand Slam-Festspiele ihren letzten Tag erlebten, war der Sport mit aller Macht zurückgekehrt. Mit Nadal, diesem denkwürdigen, aus Schmerzen und Sorgen auferstandenen Champion. Und auch mit Medvedev, dem Mann, der sich trotz seiner Niederlage als kommende Führungsfigur der Branche empfahl, vor Generationsgenossen wie Zverev, Tsitsipas oder auch Zverev. „Es war ein sehr, sehr starker Auftritt von Medvedev. Er hat nicht nur gegen Nadal, sondern praktisch gegen das ganze Stadion gespielt“, sagte Schwedens ehemaliger Weltklasseprofi Mats Wilander.

Bei den US Open im vergangenen Herbst hatte Medvedev seine Rolle als Spielverderber sogar mit dem überraschenden Sieg gegen Djokovic veredelt. Auch der „Djoker“ stand damals vor historischen Großtaten, vor dem Gewinn des Kalender-Grand Slam, vor Major-Titel Nummer 21. Den hat nun Nadal. Der nächste Stopp ist Paris, im Frühling. Die zweite Heimat von Nadal. Das Rennen geht weiter.

Hier das Einzel-Tableau bei den Australian Open

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