Belinda Bencic: Moral stimmt, spielerisch ist Luft nach oben
Eigentlich war schon alles vorbei für Belinda Bencic bei diesen French Open 2018 - doch die Comebackerin aus der Schweiz steckte nicht auf.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
29.05.2018, 17:13 Uhr
Im zweiten Satz sah Bencic in ihrer Auftaktpartie gegen die italienische Qualifikantin Deborah Chiesa drei Matchbällen hintereinander ins Auge. Aber Bencic raffte alle Energien zusammen, kämpfte plötzlich mit dem Mut der Verzweiflung und ohne jedes Nervenflattern. Bencic wehrte nicht nur diese drei Siegpunkte, sondern noch einmal zwei weitere Matchbälle ab. Sie stellte das Spiel komplett auf den Kopf, drehte und wendete es wie eine Entfesselungskünstlerin. Und dann war sie, nach ihrem 3:6, 7:6 (7:2), 6:3-Erfolg, so kaputt und erschöpft, dass sie ihrer Freude nicht mal richtig Luft machen konnte: "Es war zu anstrengend, sich das Glück raus zu schreien", sagte die 21-jährige nach diesem besonders wertvollen Paris-Erlebnis.
Bencic, ehedem als neue Miss Swiss und künftige Größe im Welttennis gefeiert, hat keine leichte Zeit hinter sich. Es gab einen schweren Abnabelungsprozess von Trainervater Ivan Bencic, der künftig eher nur noch Vater sein sollte. Es gab komplizierte Veränderungen im Management, der langjährige Protege Marcel Niederer erhielt den Laufpass. Und es gab immer wieder Verletzungspech, so wie auch in diesem Frühjahr, als ein Ermüdungsbruch im rechten Fuß eine Zwangspause provozierte.
Mitte März hatte Bencic ihr letztes Match bestritten. Sie spielte damals beim Topturnier in Indian Wells in der zweiten Runde gegen Jelena Ostapenko, die amtierende French-Open-Siegerin. Bencic kämpfte verbissen, aber nach drei hart umkämpften Sätzen war das Millionenspiel in der kalifornischen Wüste vorbei. Und danach musste sie wieder von der Seitenlinie aus zusehen, wie die Tenniskarawane umherzog, zuletzt dann in der europäischen Sandplatzserie. "Es ist frustrierend, wenn du nicht spielen kannst. Und an Boden verlierst", sagt Bencic. Zuletzt hatte sie mal wieder in der Schweiz trainiert und sich auf die French Open vorbereitet - eher eine Ausnahme, denn meist schlug sie ihr Lager für Übungseinheiten kunterbunt und scheinbar überall auf. Mal in Prag, mal in Monte Carlo, mal in Dubai, mal in den USA, in der Evert-Akademie. Sie finde es gut, "Abwechslung zu haben", sagt Bencic.
French Open als Vorbereitung auf die Rasensaison
In Paris ist das Team Bencic überschaubar groß. Neben Manager Stuart Duguid ist nur der Konditionstrainer Martin Hromec dabei, es fehlt offensichtlich der Coach Iain Hughes, von dem man nicht genau weiß, wie lange er dieses Amt überhaupt noch ausfüllen wird. Bencic äußerte sich dazu unklar, die Antworten zu diesem Thema waren nebulös. Das Turnier in Frankreichs Kapitale betrachtet Bencic ohnehin nur als Zwischenstation, mehr Aufmerksamkeit richtet sich auf die Rasenturniere und natürlich den Saison-Höhepunkt in Wimbledon. "Aber jeder Sieg ist natürlich schön und willkommen jetzt", sagt Bencic. Erst recht, wenn er nach erheblichen Widerständen und großer Dramatik wie im Match gegen Chiesa errungen wird. "Ich habe richtig gute Moral und Willen gezeigt", so Bencic, "spielerisch war das eher dünn. Da muss ich mich noch erheblich steigern."
Die übliche Wettkampfpause bei Grand-Slam-Turnieren nahm Bencic nun mehr als dankend an, "es war schon eine harte Belastungsprobe" gewesen nach der zweimonatigen Auszeit. In der zweiten Runde trifft sie auf die Slowakin Magdalena Rybarikova, die Nummer 18 der Welt, allerdings keine ausgewiesene Sandplatzspezialistin. Bencic hat nicht viel zu verlieren, aber einiges zu gewinnen - genau das könnte sie auch noch ein bisschen länger gefährlich machen in Paris.