Die erträgliche Leichtigkeit des Roger-Seins
Roger Federer hat scheinbar alle Zeit der Welt - dabei sollte doch speziell seine Zeit eher knapp bemessen sein. Wie schafft er es, so entspannt zu sein?
von Florian Goosmann
zuletzt bearbeitet:
15.06.2018, 19:42 Uhr
Von Florian Goosmann aus Stuttgart
Der Mann hat ja so ziemlich alles an Rekorden gebrochen, was nicht niet- und nagelfest war. Meiste Grand-Slam-Turniersiege (20), meiste Wimbledon-Titel (8), am Längsten auf Weltranglistenposition eins (309 Wochen) und älteste Nummer eins (mit 36 Jahren und 9 Monaten)... Viele bezeichnen den Maestro aus der Schweiz als den "GOAT" - den "Greatest Of All Time".
Man könnte Roger Federer noch einen weiteren Titel zuschreiben: "Entspanntester Mensch auf Erden". Es wäre natürlich ein wilder Tipp, Vergleiche mit allen 7,4 Milliarden Erdenbürgern sind schwierig zu ziehen, aber der "Entspannteste Tennisspieler auf Erden"... das könnte Federer tatsächlich sein.
Sorge dich nicht - spiele!
Federer ist bekannt dafür, das Glas immer als halbvoll zu sehen, Niederlagen schnell abzuhaken anstatt tagelang über vergebene Chancen zu grübeln. "Weine nicht über vergossene Milch", würde Dale Carnegie es nennen, der große Meister der "Sorge dich nicht - lebe!"-Kultur. Ist Federer vielleicht sein Tennis-Pendant? In Indian Wells, so erzählte er im März, haben seine Töchter einen (erfolgreichen) Getränke-Straßenverkauf gestartet; vermutlich hatte irgendjemand Daddy Roger ein paar Zitronen gegeben - und der hat Limonade draus gemacht.
Lauscht man seinen Pressekonferenzen, scheint er der Entspannteste aller Beteiligten zu sein. Sein erster Auftritt in Stuttgart, der Stotterstart gegen Mischa Zverev? Federer stellte die eigenen vier Breaks in den Vordergrund. "Darauf kann man aufbauen." Die Schwierigkeit, Ruhe zu bewahren, als er mit Satz zurücklag und Breakball gegen sich hatte? "Manchmal ist es auch gut, in Hektik zu verfallen." Die paar Punkte, die letztlich das Match zu seinen Gunsten entschieden? "Es war positiv, dass ich den Kopf nicht hängengelassen habe." Nach der englisch-deutschen Presserunde, die rund 20 Minuten dauerte, gab Federer vermutlich ähnliche Antworten auf dieselben Fragen für die Kollegen des Schweizer Fernsehen und Radios. In allen Sprachen, versteht sich.
Natürlich hat der Mann wenig Grund, sich zu beschweren: einen tollen Job (Wer will kein erfolgreicher Tennisprofi sein?), eine gesunde Familie (mit stresserprobten Nannys), finanzielle Freiheiten (vorsichtig formuliert). Das Absurde ist: Viele von uns haben das zumindest teilweise auch - und greifen dennoch gerne zu Ratgebern um positives Denken und Entspannungstechniken. Oder kämen ohne erlösende Nackenmassagen gar nicht mehr aus dem Bett.
Der größte Quatschmacher von allen
Musste auch Federer, dessen Popularität jährlich steigt (irgendwann wird man es Kultstatus nennen), sich Entspannung antrainieren, so verrückt das klingt? Oder ist "entspannt sein", diese in seinem Namen verankerte feder(er)-leichte Art, sein Naturell? "Ich bin schon so ein Typ", erzählte der Schweizer im Freitag nach seinem (entspannten) Sieg über Guido Pella. "Ich sehe vielleicht etwas konzentrierter aus auf dem Platz. Das bin ich auch, aber ich bin sehr entspannt neben dem Platz, beim Training, beim Mittagessen. Oder mit den Spielern. Der Umgang ist sehr relaxt."
Federer weiß, dass diese Eigenschaft ein Grund für viele Erfolge ist. "Das ist eine große Stärke von mir: nach dem Match sofort zu entspannen, mich zu erholen, nicht alles zu ernst zu nehmen. Auch ein bisschen Freude zu haben bei den Pressekonferenzen, bei sonstigen Terminen, beim Treffen mit Leuten. Oder auch Autogramme zu schreiben und Fotos machen. Das genieße ich auch zu einem gewissen Punkt", verriet Federer und lachte laut (und entspannt).
Dass Federer ein großer Quatschmacher ist, plauderte zuletzt Alexander Zverev aus. Seit dem jetztjährigen Laver Cup pflege das "Team Europe" eine WhatsApp-Gruppe, und Federer, der Älteste, sei natürlich derjenige, der am meisten Unsinn verzapfe. "In der Mannschaft ist's immer lustig. Da machen wir viel Blödsinn. Das gehört dazu. Aber ich war immer der Gleiche", sagt Federer.
Eine Einschränkung hat seine Popularität allerdings doch. "Ich muss nur aufpassen, wann ich was machen kann, weil ich weiß, dass immer viele Leute zuschauen."