Spiel's noch einmal, Tommy!
Roger Federer, Rafael Nadal und Tommy Haas alle aktiv im Hauptfeld eines Grand Slams. Dazu der Zweikampf um die Vorherrschaft im Welttennis zwischen Andy Murray und Novak Djokovic. Und mit Alexander Zverev und Dominic Thiem realistische deutschsprachige Anwärter auf die zweite Woche eines Slams - es kribbelt nicht ohne Grund vor den Australian Open. SPOX packt in Melbourne die Lupe aus und zeigt, wer bei den Herren groß auftrumpfen könnte.
von Jannik Schneider
zuletzt bearbeitet:
15.01.2017, 15:11 Uhr
Tommyyyyyyyyyyyyy!
Der Vorhang für die große Tennis-Bühne 2017 öffnet sich in der Nacht zum Montag. Wenn die ersten Ballwechsel im Hauptfeld der Herren gespielt werden, dann ist ein Veteran mit von der Partie, dem das auf höchster Ebene im Profitennis nicht mehr unbedingt zuzutrauen war - bei aller Sympathie.
Tommy Haas startet gegen die Wundertüte Benoit Paire sein viertes großes Comeback nach mindestens einjähriger Abstinenz. Den Rekord für die längste Zwangspause mit anschließend geglückter Rückkehr hatte der gebürtige Hamburger bereits 2004 geknackt (467 Tage). Dieses Mal waren es gar mehr als 500 Fehltage - das letzte Match bestritt er im Herbst 2015 in Wien gegen Jo-Wilfried Tsonga. Da kann nicht mal der arg gebeutelte argentinische Volksheld Juan Martin del Potro mithalten, der leider dieses Jahr als nahezu einziger Topspieler Down Under fehlen wird.
Der 15-fache ATP-Turnier-Champion ist nochmal zurück bei seinem favorisierten Grand-Slam - 19 Jahre nach seinem Debüt 1998. Ein Jahr später sowie 2004 und 2007 erreichte er dort das Halbfinale und zeigte auch bei seinen späteren Comebacks mit der Rückkehr unter die Top 15, dass sein Talent gepaart mit dem unbedingten Willen noch für Weltklasse-Tennis ausreicht.
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Ähnliche Sphären wird er im endgültig letzten Jahr seiner bewegten Karriere nicht mehr erreichen. Muss er auch nicht. Haas möchte nochmals seine Lieblingsturniere aktiv erleben. Dafür hat er sich in der zweiten Jahreshälfte 2016 trotz Vater- und Familienfreuden im heimischen Florida nochmals gequält.
Ob das reicht, um konkurrenzfähig zu sein? Sicher ist: Dem Spieler Haas fehlt die Matchpraxis. Nach einer knappen Niederlage gegen Jerzy Janowicz bei einem Einladungsturnier sagte Haas seine zweite Partie zu Beginn des Jahres wegen einer Grippe ab.
Für die erste Runde Down Under wird es sich jedoch ausgehen. Gegner Paire, seit 2011 ohne Einzelsieg in Melbourne, spielte in Chennai erst super, dann skandalös schlecht gegen Robert Bautista Agut. In Sydney schied er anschließend prompt in Runde eins aus - ein klassischer Paire eben. Wenn Haas es schafft, den Strapazen eines Grand-Slam-Matches zu trotzen, würde entweder Fognini oder Lopez warten. Weiter wollen wir jetzt mal nicht schauen. Stattdessen lieber eine der schönsten einhändigen Rückhände der Tennisgeschichte genießen. Solange das eben noch geht.
Übrigens: Zum ersten Mal seit den US Open 2015 sind sowohl Haas, Federer, als auch Nadal bei einem Grand Slam am Start. So oft wird es das nicht mehr geben.
Der Titelverteidiger:
Hallo, hallo, hier kommt Mister Down Under! Novak Djokovic kann zum bereits siebten (!) Mal das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres gewinnen und würde damit den Australier Roy Emerson (sechs Siege) in den Schatten stellen.
Dass das ein durchaus realistisches Szenario ist, zeigt der Jahresstart des Djokers. In Doha präsentierte sich der 29-Jährige zwar spielerisch zunächst noch mit einigen Schwächen, mit diesen komischen Unforced Errors, aus dem noch komischeren zweiten Halbjahrs 2016 des Serben.
Kämpferisch war die ehemalige Nummer eins allerdings mehr als bissig. Im Halbfinale gegen den wiedererstarkten Fernando Verdasco wehrte er erst fünf Matchbälle ab, um dann in einem hochklassigen Finale Andy Murray niederzuringen. Gibt es die gleiche Paarung in zwei Wochen noch einmal?
Zunächst muss der ehemalige Becker-Schützling wieder Verdasco aus dem Weg räumen. Auf Major-Ebene wird ihn der Spanier mental aber nicht nochmal so fordern können.
Erster gesetzter Akteur wäre in Runde drei Pablo Carrena Busta oder der talentierte Brite Kyle Edmund. Rassig würde es jedenfalls im Achtelfinale zugehen, wenn "Baby-Fed" Grigor Dimitrov seine starke Form abrufen kann und zuvor Richard Gasquet schlägt (siehe unten). Gasquets Bilanz gegen die Top vier lassen wir unerwähnt. Ein möglicher Viertelfinal-Gegner wäre Dominic Thiem.
Der Topfavorit:
War in den vergangenen Jahren in der Regel die Nummer eins der Welt bei den Herren. Wäre dementsprechend 2017 Andy Murray. Also warum nicht Haus und Hof auf den Sir des britischen Königshauses setzen?
Nun, da wäre zum einen der erwähnte erste Dämpfer in Doha gegen Djokovic (auch wenn es brutal knapp war). Etwas schwerwiegender zum anderen: die Finalbilanz in Melbourne. Liebe Murray-Fans, jetzt bitte wegschauen: Er stand bereits fünfmal im Endspiel. Das Turnier gewonnen hat er noch nie. Die letzten vier Endspiele (11,13,15,16) verlor er allesamt gegen Dauerrivale und Buddy Djokovic.
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Was spendet also Hoffnung? Auf jeden Fall mal das grandiose zweite Halbjahr 2016 mit nur einer Niederlage seit den French Open. Seit der Wiederaufnahme der Zusammenarbeit mit Lendl ist das ganz große Sieger-Gen zurück beim Schotten. Wenn es jedenfalls jemand schaffen kann, die Final-Dämonen des vielleicht besten Konterspielers der Geschichte zu vertreiben, dann ist das der stoische Lendl.
Auf dem Weg dahin müssen sich Anhänger zunächst nicht allzu große Gedanken machen. Nach der Auftakthürde Illya Marchenko würden als erste gesetzte Akteure im Turnierverlauf Sam Querrey, in einem Achtelfinale John Isner oder der talentierte Lucas Pouille warten.
Für das Viertelfinale stünden Tomas Berdych (dessen Bilanz gegen die großen Vier lassen wir hier ihm zuliebe auch mal weg), Kei Nishikori oder ein gewisser Roger Federer bereit. Advantage dennoch: Sir Murray!
Dark Horse:
Endlich, endlich, endlich! Grigor Dimitrov ist ein echter Contender. Nach dem schon nicht ganz so schlechten Herbst 2016 und der Rückkehr in die Top 25 waren auf seinem offiziellen Instagram-Account in der Folge lediglich Safari-Fotos zu begutachten. Was entweder bedeutete, dass der Bulgare nur Freizeitfotos gepostet oder die Saisonvorbereitung auf ein Minimum zusammengestrichen hat.
Dani Vallverdu sorgte dafür, dass letzteres nicht der Fall war. Der Venezuelaner gilt als der Julian Nagelsmann des Tennis und arbeitete trotz seiner erst zarten 30 Jahre bereits an der Technik von Murray, Berdych oder del Potro. Bei letzterem scheiterte eine längere Zusammenarbeit lediglich an den konträren Wohnorten (Zürich / Buenos Aires).
So kontaktierte der nach sieben Erstrundenpleiten etwas verzweifelt wirkende Dimitrov im Spätsommer vergangenen Jahres den Südamerikaner, der damals über seinen neuen Schützling gegenüber ubitennis.net bekannte: "Seine Waffen sind nicht mehr so gut wie zuvor. Das zog einen Domino-Effekt nach sich." Funktionieren die Offensivwaffen nicht, sinke das Selbstvertrauen und die Unforced Errors würden steigen. "Grigor und ich sehen das beides als langfristiges Projekt an", sagte der Coach damals.
Baby-Fed ließ dann auch Taten folgen, wie ein YouTube-Video der offiziellen ATP-Seitezeigt. Mit Vallerdu an der Spitze zog er nach einem ordentlichen Herbst eine knüppelharte Vorbereitung durch. Der Fokus lag dabei fast ausschließlich auf der Schnelligkeit auf dem Court, was zusätzlich genügend Spielraum ließ, um an den Balltreffpunkten zu arbeiten.
Beim ersten Turnier des Jahres in Brisbane wirkte er für die harte Arbeit schon ungewöhnlich spritzig. Auffallend: Die Nummer 15 der Welt versuchte in schöner Regelmäßigkeit, den Ball noch in der steigenden Phase zu treffen, dazu kam regelmäßig der Rückhand-Slice. Dimitrov gewann das Turnier und räumte auf dem Weg zum ersten Titel seit 2015 mit Thiem, Raonic und Nishikori drei Top-Ten-Akteure aus dem Weg. Noch wichtiger aber war folgende Aussage: "Ich habe einfach festgestellt, dass ich wieder anfange, den Tennissport zu lieben."
In Runde eins darf er sich gegen den australischen Youngster Christopher O'Connell noch etwas austesten. In Runde drei wartet aller Voraussicht nach Gasquet. Bei allem Respekt vor dem Franzosen: Angesichts des Momentums von Dimotrov wäre der Achtelfinalkracher gegen Djokovic eines der absoluten Highlights der diesjährigen Australian Open.
(Angesichts der Dominanz von Murray und Djokovic gibt es daneben ja eigentlich nur "Dark Horses". Deshalb haben wir uns "Die weiteren Favoriten" diesmal gespart. Der Vollständigkeit halber: Das wären Milos Raonic (am nächsten dran) und Stan Wawrinka (immer gefährlich).)
Der Federer-Bezwinger:
Wir haben da wieder wen! Für die großen Grand-Slam-Momente! Die, wegen denen Tennis mal im Free-TV lief. Alexander Zverev beendete seine tolle Saison 2016 mit dem Einzug in die Top 20 und seinem ersten Turniersieg in St. Petersburg recht zeitnah und widmete sich mit seinem Team in den USA einer außerordentlich langen Vorbereitung.
Beim Hopman Cup in Perth zeigte sich der 19-Jährige bereits gut in Form. Einer Niederlage gegen Gasquet ließ er einen vielbeachteten Sieg gegen den ansonsten ungeschlagenen Roger Federer folgen. Damit ist der Deutsche mit russischen Wurzeln im erlesenen Kreis jener Spieler, die eine positive Bilanz gegen FedEx vorzuweisen haben.
Robin Haase dürfte in Runde eins keine Hürde darstellen. Ein Blick aufs Tableau verrät: In Runde drei wartet der an neun gesetzte Rafael Nadal. Der Spanier befindet sich nach seiner Verletzung im Aufschwung. Unlösbar scheint dieses Matchup im Januar 2017 jedoch nicht mehr.
Zverevs Aufgabe für die nähere Zukunft lautet: Schlage einen großen Spieler bei einem Slam. Dabei hat er die Zeit auf seiner Seite. Doch wer weiß, wie ungeduldig dieser Hüne ist, der kann sich vorstellen, dass diese Mission bereits in Melbourne abgeschlossen werden soll. Das Erreichen der zweiten Woche wäre ein echtes Ausrufezeichen.
Die übrigen Deutschen:
Philipp Kohlschreiber und Grand Slams im Jahr 2016 - das war alles andere als eine Liebesbeziehung. Vier Erstrundenniederlagen legten einen großen Schatten über eine ansonsten ordentliche Saison des Augsburgers. 2017 ließ sich gut an: Siegen über Jaziri, Fognini und Thompson steht eine knappe Niederlage gegen Almagro gegenüber. Gegen Victor Toicki trat er zuletzt wegen Rückenbeschwerden nicht an.
Für den Happy Slam hat er sich jedoch rechtzeitig fit gemeldet und fordert Nikoloz Basilashvili. Der ist die 94 der Welt und absolut machbar. Das Draw danach liest sich nicht schrecklich. Donald Young, danach wohl Gael Monfils. Das wär doch ein schönes Grand-Slam-Match, oder?
Halle-Sieger Florian Mayer hatte da weniger Glück. Rafa Nadal wartet auf den Bayreuther, der 2017 bisher zwei Spiele im entscheidenden Tiebreak verlor. Das Selbstvertrauen aus möglichen Siegen hätte ihm gegen den Spanier vermutlich aber auch nicht geholfen.
Der "ewige Tommy" kehrt zurück
Mischa Zverev ist vielleicht der interessanteste deutsche Starter. Endlich verletzungsfrei spielte sich der große Bruder von Alexander zurück in die Top 60. Zuletzt in Sydney präsentierte sich der Volleyspezialist als Spanienschreck und schaltete nacheinander Carreno Busta und Almagro aus. Da passt es nur zu gut, dass in Melbourne mit Garcia-Lopez (Nummer 73, 2017 noch sieglos) der nächste Spanier wartet. In Runde zwei würde wohl ein Aufschlagduell gegen John Isner folgen.
Jan-Lennart Struff ist gut ins neue Jahr gestartet - und es hätte sogar ein grandioser Start werden können. Immerhin führte der 26-Jährige 5:1 gegen den Djoker, verlor jedoch noch glatt in zwei Sätzen. Beim Challenger in Camberra holte er sich anschließend mit vier Siegen Matchpraxis und Selbstvertrauen. In Runde eins wartet Dominic Thiem, der anno 2017 noch nicht allzu souverän auftritt (zweimal Viertelfinale). Für einen Sieg gegen die acht der Welt muss für "Struffi" aber sehr, sehr viel zusammenkommen.
Noch schlimmer hat es "Shotmaker" Dustin Brown getroffen. Er steht Milos Raonic gegenüber, was echt schade ist. Denn der Kanadier dürfte Browns Stärken im Keim ersticken und ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Weil die halt viel, viel, viel konstanter sind - Nummer drei der Welt eben. Schade jedenfalls für das Publikum, dass sie Brown vermutlich nur drei Sätze zu Gesicht bekommen.
Upset Alert:
Lokalmatador Omar Jasika trifft auf David Ferrer, und der Spanier schwächelte in 2017 bisher, verlor in Auckland zuletzt im Achtelfinale gegen Haase. Gut, Jasika ist nur die 287 der Welt. Aber der Linkshänder überstand im Vorjahr immerhin die Auftaktrunde. Und die Wettquote des 19-Jährigen dürfte ebenfalls stimmen.
Realistischerer Vorschlag? Ok. Mischa Zverev erreicht die dritte Runde und schaltet nach Guillermo Garcia-Lopez auch den an 19 gesetzten John Isner aus.
Ansonsten werden sich in Runde eins Favoriten reihenweise durchsetzen. Klingt langweilig, wird es aber nicht. Im späteren Turnierverlauf könnte Jack Sock noch für den ein oder anderen Favoritensturz sorgen. Der US-Boy hat eine tolle Form und ist bereit, in der zweiten Woche Gegenwehr zu leisten.
Aussie, Aussie, Aussie!
Nick Kyrigos führt das australische Angebot (sieben Spieler) beim heimischen Grand Slam an. Und die Nummer 14 der Setzliste trifft aller Voraussicht nach im Achtelfinale auf Stan Wawrinka. Also wenn er sich nicht vorher von seiner lustlosen Pokemonseite präsentiert.
Das macht er auf heimischen Boden aber eher nicht. Ruft der 21-Jährige seine Power ab, ist er auf Hardcourt ein echter Herausforderer für einen nicht immer sattelfesten Schweizer. Und wenn die Aussies erst jemanden im Viertelfinale haben, dann kennt die Euphorie wohl keine Grenzen mehr.
Da Thanasi Kokkinakis weiter verletzt fehlt, ist Bernard Tomic neben Kyrgios der aussichtsreichste Kandidat. Über die Hassliebe des eigenen Publikums gegenüber Tomic wurde genug berichtet. Und auch wir wissen jetzt, dass er nur für das Geld spielt und nie der fitteste Profi auf der Tour sein wird.
Aber: Sein Talent reicht trotz allem aus, um die zweite Woche zu sehen. Und zwar als Spieler! Allerdings muss er sich in Runde drei Marin Cilic stellen. Das wäre für die heimischen Fans ein tolles Abendspiel. Und für Tomic eine weitere Chance, Hass in Liebe zu verwandeln.
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