ITF World Tour: Die Jobvernichtungsmaschine

Laut einem in der New York Times veröffentlichten Artikel, der sich auf die Regeln der neuen ITF World Tour bezieht, werden seit Januar 2019 rund 90% oder schätzungsweise 12.000 Männer und Frauen, die bereits an professionellen Turnieren teilgenommen haben, vom internationalen Tennissport ausgeschlossen. Unsere Autorin Kerstin Peckl ist eine der Betroffenen - und kämpft für eine Änderung.

von Kerstin Peckl
zuletzt bearbeitet: 05.02.2019, 12:19 Uhr

Kerstin Peckl
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Kerstin Peckl

Mit dem neuen Jahr hat auch die neue ITF World Tour gestartet – werfen wir einen genaueren Blick darauf…

Die erste große Änderung ist die Reduzierung der Plätze in der Qualifikation von 64 (oder teilweise sogar 128) auf 24 Spieler. Betrachtet man die Turnierwoche vom 7. Januar, konnten dadurch weltweit nur 168 Frauen und 336 Männer an ITF Turnieren teilnehmen (drei Frauenturniere, sechs Herrenturniere). Außerdem mussten sie für ein Frauenturnier nach Martinique, Hongkong oder Tunesien reisen, was die Teilnahme noch erheblich schwieriger macht.

Während des gesamten Januar 2019 standen 1.512 Plätze für Frauen und 1.614 Plätze für Männer zur Verfügung – unter der Voraussetzung, dass jede/r Spieler/in nur an einem einzigen Turnier teilnimmt, was für Turnierreisen ungewöhnlich wäre. Das hört sich auf den ersten Blick nach einer großen Anzahl an - aber wir müssen bedenken, dass aktuell allein rund 3500 Männer und 2400 Frauen im ITF-Ranking aufgeführt sind. Zusätzlich erhöhen die Jugendspieler, die nicht zu den Top 100 gehören und dadurch keinen Anspruch auf die reservierten Plätze in den Hauptbewerben der ITF World Tour haben, die Nachfrage nach Qualifikationsplätzen.

Und nicht zu vergessen die große Mehrheit der Spieler, die „nur“ über ein nationales Ranking verfügen, College-Spieler/innen oder Spieler/innen, die aufgrund einer Verletzung nicht mehr im Ranking aufscheinen und ein Comeback versuchen. Sie alle hatten im Vorjahr die Möglichkeit, über die ITF-Turniere den Anschluss an die WTA- bzw. ATP-Tour zu schaffen. Sofern sie keine Wild Card erhalten, werden all diese Spieler/innen aufgrund der neuen Regeln nur mit großem Glück an einem ITF Turnier teilnehmen können.

Mehr Druck auf die Junioren

Zurück zu den Junioren: Für sie steigt der Druck, die Top 100 der ITF-U18-Rangliste zu erreichen, um danach ihre internationale Karriere fortsetzen zu können, erheblich. Dadurch werden es zukünftig diese Spieler/innen noch schwieriger haben, Ausbildung und Tennis zu verbinden und die Turniere werden schon in jungen Jahren eine noch höhere Gewichtung erfahren, was aus Sicht der langfristigen spielerischen Entwicklung nicht optimal erscheint.

Axel Geller (Argentinien), die Nummer 1 der ITF-Junioren-Rangliste 2017, spielte eine Saison für die Stanford University in den USA. Dies führte dazu, dass er 2018 im ATP-Ranking auf Rang 1.416 zurückfiel. Ein Ranking, das ihn in diesem Jahr wahrscheinlich nicht zu einer Turnierteilnahme berechtigt. „Wer gut genug ist, wird Matches gewinnen. Das Problem ist, wenn Sie an keinem Turnier teilnehmen können“, sagte Geller vor einigen Monaten in der New York Times.

Höchstwahrscheinlich wird es auch zu einem großen Dropout von Spielern kommen, die ihr Potenzial erst etwas später voll ausschöpfen können. Dies sollte die ITF bedenken, da das Durchschnittalter, mit welchem die Spieler und Spielerinnen die Top 100 der Weltrangliste erreichen, kontinuierlich steigt (aktuell 27,6 Jahre bei Männern und 24,8 Jahre bei Frauen).

Karriere-Chancen von College-Spielern verschlechtern sich

Wenn sich die neuen Regeln der ITF im Laufe des Jahres 2019 durchsetzen, werden blühende Karrieren von College-Spielern wie Benjamin Becker, John Isner, Kevin Anderson, Nicole Gibbs oder Steve Johnson der Vergangenheit angehören, da ungerankte College-Spieler in Zukunft keine Chance haben werden sich an der ersten Stufe des professionellen Tennissports zu versuchen, außer sie erhalten glücklicherweise eine Wild Card.

Diese Situation öffnet die Türen weiter für das, was bereits in einigen Turnieren passiert ist, z.B. dem Verkauf von Wild Cards, die den Zugang zu Qualifikation oder Hauptbewerb gewähren, Wetten und andere Abhängigkeitsverhältnisse von Spielern und Spielerinnen nur um an Turnieren teilnehmen zu können.

Falls einige Spieler darüber nachdenken, sich auf das Doppel zu konzentrieren muss ihnen gesagt werden, dass sie zukünftig bei ITF-$ 15.000-Turnieren im Einzelbewerb akzeptiert sein müssen, um für einen Start im Doppel berechtigt zu sein.

Immer weniger Turniere

Laut ITF ist das Hauptargument für diese Regeländerungen, dass es in jeder Region / jedem Land mehr ITF-Turniere geben wird, sodass der Spieler aufgrund der kürzeren Distanzen zwischen den Turnieren weniger Geld für Reisen ausgibt. Wenn wir uns jedoch den aktuellen ITF-Turnierkalender für das Jahr 2019 ansehen, sehen wir in Europa im Monat Januar nur auf Mallorca einige wenige aufeinander folgende Turniere Der Rest der Turniere ist auf dem ganzen Kontinent verteilt, sodass Spieler jede Woche zu einem neuen Ort reisen müssen, was ihre Kosten zusätzlich erhöht. Betrachtet man den weltweiten Turnierkalender, so finden sich im Jahr 2019 von Jänner bis März 98 Turniere der $15.000 und $25.000 Kategorie im Vergleich zu 114 im selben Zeitraum 2018.

Aber nicht nur Spieler sind von diesem neuen System betroffen. Seit 2019 werden 15.000 $-Turniere für Männer und Frauen von der ITF nicht mehr als professionelle Turniere angesehen. Welche Marke oder welcher Sponsor möchte sein Image mit Amateur-Turnieren fördern? Wenn große Teile des Sponsorings wegfallen, wer organisiert dann weiterhin Turniere? Die Herausforderung, das benötigte Kapital für ein Turnier aufzustellen, wird noch komplizierter, insbesondere in Entwicklungsländern, in denen Geld für Tennis selten ist. Zu der von der ITF propagierten Kostenreduktion für Veranstalter ist anzumerken, dass es laut der Kalkulation von Dave Miley, seines Zeichens früherer Entwicklungsverantwortlicher für den Jugendbereich in der ITF, zwar aufgrund der niedrigeren Erfordernisse bezüglich der Organisation (z.B. Ausbildung der Schiedsrichter) und eines neu eingeführten Nenngeldes im Männer-Hauptbewerb zu einer Ersparnis von geschätzten $ 1590 für die Turnierveranstalter kommt. Dieser Effekt wird aber allein schon durch den Verlust der Qualifikationsnenngelder von mindestens $ 1600 (40 Spieler à 40$) mehr als zunichte gemacht.

Einnahme-Einbußen für die Hotels und Resorts

Weiter ist zu bedenken, dass derzeit viele Turniere von Hotels oder Resorts mit Sportanlagen organisiert werden, die die Kosten für die Organisation von Turnieren durch den Hotelumsatz finanzieren, der durch die Spieler in den Resorts erzielt wird. In diesen Hotels oder Resorts ist es üblich, an vielen aufeinanderfolgenden Wochen im Jahr Turniere zu veranstalten, was dem Spieler dadurch zugutekommt, dass die Reisekosten gesenkt werden, was eine mehrwöchige Turnierserie am selben Ort und dadurch einen, zumindest organisatorisch, einfachen Start auf die internationale Tennistour ermöglicht. Seit Januar 2019 wurde die Turnierdauer der ITF Turniere von zehn auf sieben Tage verkürzt. Dazu kommen die Verluste an Teilnehmerübernachtungen aufgrund der kleineren Qualifikationsbewerbe. Die Veranstalter schätzen den Verlust für die Resorts in Antalya (Türkei), Hammamet und Monastir (Tunesien), Sharm el Sheikh und Kairo (Ägypten) sowie Heraklion (Griechenland) aufgrund dieser Umstände auf etwa 14.400 $ pro Woche.

Auf dem Portal tennis.life wurde bereits im vergangenen Oktober ein Artikel veröffentlicht, in dem angekündigt wurde, dass Kanada und Israel alle ihre Männer (15.000 $ und 25.000 $) und Frauen (15.000 $) Future-Turniere für 2019 absagen werden – und es ist anzunehmen, dass diesem Beispiel zeitnah weitere Länder folgen werden.

Seit diesem Jahr erhalten die Sieger eines $25.000 Turniers auf der Herrentour 3 ATP-Punkte (1 Punkt für den Finalisten). Ab 2020 werden für diese Kategorie keine ATP-Punkte, sondern ausschließlich ITF-Punkte vergeben werden. Dies verlängert den Prozess für jene Spieler, die als Ziel die ATP Tour haben, erheblich - und steigert damit zusätzlich ihre Kosten.

Keine Kostensenkung für die Spieler

Dem Argument der ITF, dass die neuen Regeln mehr Spielern helfen werden ihre Kosten zu decken, ist zu entgegnen, dass das Preisgeld und die Größe des Hauptbewerbes unverändert geblieben ist. Es ist auch nicht geplant, das Preisgeld für die Turniere zu erhöhen. Dies macht es schwierig zu sehen, wie die neuen Bestimmungen die Spielern bei der Deckung ihren aktuellen, plus durch die Regeländerungen zusätzlich verursachten Kosten, unterstützen sollen.

Immer öfter wird das Argument der Wetten genannt, um die Regeländerung zu rechtfertigen. Dazu sei angemerkt, dass die ITF selbst die Daten der Matches (Livescoring etc.) vertraglich bis 2021 an die Firma Sports Radar verkauft hat, um die Wetten auf diesem Niveau erst zu ermöglichen. Und wenn Spieler/Spielerinnen weiterhin durchschnittlich 30.000-50.000 $ pro Saison verlieren (Zahlen aus der Umfrage der ITF zitiert aus dem Post von Dave Miley) besteht auch in Zukunft die Versuchung, durch illegale Geschäfte wie Matchabsprachen und Korruption zusätzliche Geldquellen zu akquirieren.

Auswirkungen auf Akademien, Ausrüster, etc.

Was passiert mit Trainern, Akademien, Vereinen, Familienmitgliedern, dem Sportartikelhandel und vielen mehr, die hinter jedem einzelnen Spieler stehen? Wenn es weniger Turniere gibt und der Spieler seine Karriere beenden muss, weil er keine Chance hat, an Wettbewerben teilzunehmen, werden viele Trainer und Akademien Kunden verlieren, die Schiedsrichter werden weniger Gelegenheit haben, ihr Amt regelmäßig auszuüben. Der Sportartikelhandel verkauft weniger Ausrüstung, Marken verlieren Einnahmen und am Ende werden viel Erfahrung und Wissen, die der Weiterentwicklung des Tennis dienlich sein können, unwiderruflich verloren gehen.

In Erwartung all dessen startete die kanadische Spielerin Maria Patrascu eine Online-Petition auf der Website CHANGE.ORG (https://www.change.org/p/itf-international-tennis-federation-help-us-save-the-future-of-professional-tennis), die aktuell über 3.100 Unterschriften gegen das neue Regelwerk der ITF umfasst. Sie konnte sich vor einigen Wochen auch nach langem Hinhalten schlussendlich mit der ITF für ein erstes Gespräch in Verbindung setzen – das Resümee einer einstündigen Unterhaltung: die Änderungen sind für die ITF "ein großes Experiment". Die ITF nutzte weiters die Gelegenheit, um zu betonen, dass "die ATP und WTA sich nicht für Spieler mit niedrigem Ranking interessieren" und die "ITF das Beste gibt, um die Situation zu verbessern" …

Petition: Bitte unterstützen!

Im Laufe des Jahres 2018 nahm ITF mehrfach Änderungen an den neuen Regeln vor, ohne darauf auf der Hauptseite ihrer Homepage zu informieren (dies wurde nur in einem Abschnitt vorgenommen, in dem sich die neuen Regeln befunden haben). Bislang sind alle ITF-Dokumente ausschließlich in Englisch, Französisch und Deutsch verfügbar. Das führt dazu, dass die aufstrebenden Tennisgemeinden in arabischen und asiatischen Ländern erhebliche Schwierigkeiten haben sich der neuen Regeln und ihrer Tragweite bewusst zu werden.

Für alle, sei es Spieler, Trainer, Eltern oder Offizielle ist es an der Zeit, aufzuwachen und aktiv zu werden, um den Verantwortlichen der Tenniswelt zu zeigen, dass sie ohne die Athleten und ihre Teams nicht mehr als eine tote Organisation sind. Teilt diese Information sowohl online als auch offline, unterstützt die Petition und den Informationsaustausch auf Facebook.

Der Weg im professionellen Tennis erfordert Engagement, Talent, langjährige harte Arbeit, Begeisterung, etwas Glück und vieles mehr. Was es aber nicht braucht sind zusätzlich Hürden auf diesem steinigen Weg, hervorgerufen durch eine Organisation, die gegründet wurde, um Tennis weltweit zu fördern. Wir hoffen, dass die ITF sich bald der realen Situation bewusst wird und die neuen Regeln so anpasst, dass junge Menschen aus der ganzen Welt die Möglichkeit haben, ihrer Leidenschaft zu folgen und die Erfahrung als professioneller Tennisspieler erleben zu können.

von Kerstin Peckl

Dienstag
05.02.2019, 11:45 Uhr
zuletzt bearbeitet: 05.02.2019, 12:19 Uhr