Laura Siegemund bei den French Open: Mit Schmerztabletten, eisernem Willen und Kreativität
Laura Siegemund wollte das Optimale aus dem verrückten Jahr 2020 machen - und sie hält ihr Wort. In Roland Garros steht sie im Achtelfinale, und da muss noch lange nicht Schluss sein.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
04.10.2020, 18:06 Uhr
Als Laura Siegemund kürzlich in einer stillen Stunde über 2020 nachdachte, kam sie zu einem nahe liegenden Ergebnis: „Es ist ein seltsames Jahr. Ein komisches Jahr. Ein Jahr mit viel Durcheinander.“ Auch Siegemund litt selbstverständlich unter dem großen Stillstand, dem zwischenzeitlichen Nichtstun-Können, den Zweifeln, wie es weitergehen würde mit ihrer Arbeit. Und was die weltweite Gesundheitskrise noch an Drehungen und Wendungen bringen könnte. Am Ende schwor sie sich aber eins, und da war sie sich selbst ganz einfach treu: „Du musst das Beste, das Optimale aus der Situation machen.“
Viele im Tenniszirkus hangeln sich eher schlecht als recht durch die Rumpfserie, viele kommen nach dem Wiederbeginn auch nicht auf Touren. Viele, das wurde bei den US Open genau wie bei den French Open deutlich, haben das Jahr innerlich schon abgeschrieben und vertrösten sich auf 2021. Laura Siegemund allerdings hatte nie den Eindruck hinterlassen, Zeit und Möglichkeiten verschenken zu wollen. Im großen Corona-Wirrwarr ist sie längst eine der großen Gewinnerinnen geworden, erst als stolze Doppelsiegerin in New York.
Siegemund in Roland Garros: "Absolut noch mehr drin"
Und nun, bei den French Open, als frischgebackene Achtelfinalistin, zum ersten Mal in ihrer Karriere in diesem exklusiven Territorium angekommen. „Es ist ein gutes Gefühl“, sagte Siegemund, die am Samstag in der dritten Runde die an Nummer 13 gesetzte Kroatin Patra Martic mit 6:7 (5:7), 6:3 und 6:0 ausschaltete. Auch gegen die Spanierin Paula Gadosa könnte sich Siegemunds erfolgreiche Solomission unterm Eiffelturm fortsetzen, da sei „absolut noch mehr drin“ für die 32-jährige Schwäbin, befand DTB-Frauenchefin Barbara Rittner bei Eurosport.
Siegemund plagt sich nach strapaziösen, für Geist und Körper herausfordernden Tenniswochen schon etwas länger mit Rückenschmerzen herum. Ihr Doppel-Gastspiel mit Vera Zvonereva fand deshalb in Paris schon ein unsanftes Ende, das US Open-Siegesduo musste bereits in der zweiten Runde aufgeben. Als Einzelkämpferin macht die ehrgeizige Metzingerin einigermaßen unverdrossen weiter. Mit Schmerztabletten, eisernem Willen und ihrer gewohnten taktischen Kreativität auf dem Court schaffte sie das höchst respektable Achtelfinal-Debüt – eine Frau, die im Zweifelsfall eben auch mal das scheinbar Unmögliche möglich machen kann. Gegen Martin musste sie im ersten Durchgang längere Zeit auf dem Court behandelt werden, schaffte dann aber noch das nicht zwingend erwartbare Comeback nach 0:1-Satzrückstand.
Besser werde es wohl mit dem Rücken nicht mehr werden bei den French Open, sagt Siegemund, da müsse man halt jetzt „einfach irgendwie durch.“ Sie will ihre Chancen weiter energisch und effizient nutzen, schließlich sei in der allgemeinen Unübersichtlichkeit nach der Corona-Pause „sehr vieles drin.“ Die Hackordnung sei ein „bisschen durcheinandergewirbelt“, alles schon „etwas verwirrend.“ Sie ist die Frau der Stunde im deutschen Tennis, im Hier und Jetzt des außergewöhnlichen Herbstes 2020. Und im Mittelpunkt möchte sie auch gerne noch ein bisschen länger bleiben, aber vor allem erst mal hier und jetzt in Paris.