Mentaltraining für Jugendspieler Teil 1: Druck und Erwartungen

Deine mentale Einstellung hat enorm großen Einfluss auf deine sportlichen Leistungen und Ergebnisse. Warum das so ist, und wie Du Deine mentale Stärke trainieren kannst, verrät Dir tennisinsider Marco Kühn im ersten Teil einer neuen Serie. Diesmal lernen wir, wie wir mit Druck und Erwartungen umzugehen haben.

von Stefan Bergmann
zuletzt bearbeitet: 19.07.2023, 12:10 Uhr

© Getty Images
Heutzutage ist Mentaltraining im Tennissport absolut unerlässlich

Julius saß bei 1:4 aus seiner Sicht am ganzen Körper angespannt auf der Bank. Er war als der klare Favorit in diese erste Runde bei den Deutschen Meisterschaften gegangen. Er sah mit ängstlichem Blick zu seiner Mutter, seinem Trainer und einigen Zuschauern am Spielfeldrand. Mama schaute ihn kritisch an. Papa ließ den Kopf nach unten hängen.

Die Verkrampfung in seinen Armen und Beinen nahm zu.

Seine Gedanken schrien ihm förmlich an und kreierten Horrorszenarien. Was würden seine Trainer sagen, wenn er diese erste Runde in die rote Asche setzen sollte? Schlimmer noch: Erst gestern Abend hatte er einen Streit seiner Eltern im Wohnzimmer belauscht. Papa war gestresst, weil die Fahrten zum Stützpunkt und das Training Zeit und Geld fraßen. Und jetzt saß er da, mit einem 1:4 auf seinen gerade mal 15 Jahre jungen Schultern. Was kann man als Jugendspieler in solchen Situationen tun?

Die Kunst der mentalen Stärke 

Wir alle kennen die Angst vor der Matheklausur. In unserem Kopf läuft ein Film ab, wie der Lehrer die Note 5 zurück gibt. Dann muss man mit dieser Note nach Hause. Mama oder Papa müssen diese Note unterschreiben. Der reinste Horror.

Das Problem bei dieser Denkweise ist, dass du dich ausschließlich auf das konzentrierst, was du nicht beeinflussen kannst. Die Reaktion deines Lehrers? Keine Chance, die kannst du nicht beeinflussen. Die Laune deiner Eltern aufgrund deiner Note? Da hast du ebenfalls keinerlei Einfluss drauf. 

Du hast aber zu 100 % Einfluss auf die Dinge, die in deiner Macht liegen. Das wäre vor einer Matheklausur zum Beispiel dein Lernverhalten, ausreichend Schlaf, früher aufstehen und Pünktlichkeit, Etui ordentlich packen, Snacks und Verpflegung. 

Und exakt so ist es auch beim Tennis. 

Dies ist die Kunst der mentalen Stärke: Fokussiere dich auf die Dinge, die in deinem Einflussbereich liegen. Lass uns schauen, warum dein Kopf so entscheidend für deine Ergebnisse ist und wie der großartige Rafael Nadal dir ein simples Konzept beibringen kann, das du direkt in deinem nächsten Match nutzen kannst.

Warum ist dein Kopf entscheidend beim Tennis?

Du stehst auf dem Platz und bist verblüfft, wie stark dein Gegner spielt. Er steht im Ranking weit hinter dir. Trainer und Eltern erwarten von dir einen glatten Sieg. Das baut Druck und Erwartungen auf, oder nicht? Ich kenne einen unglaublich talentierten Jungen, der mir mal die folgende Geschichte erzählte: 

Bei einem gut besetzten Turnier war er in der ersten Runde komplett unterfordert. Er führte 6:1 und 3:0. Plötzlich fing sein Kopf an zu rattern. Ihm fiel ein, dass in der nächsten Runde der an Position 1 gesetzte Spieler warten würde. Dieser Gedanke erfüllte den Jungen mit Angst und Schrecken. Auf keinen Fall wollte er bei solch einem großen Turnier richtig einen auf den Deckel kriegen. Während der Junge in diesen Horrorszenarien gefangen war, verlor er den zweiten Satz noch mit 4:6. Er wurde wütend und frustriert. 

Seine Gedanken waren mittlerweile überall, nur nicht bei seiner ersten Runde, die er ja gerade spielte. Aus Panik in der nächsten Runde gegen den an 1 gesetzten zu verlieren, verlor der Junge seine erste Runde noch. Ein Match, das er niemals hätte verlieren dürfen. 

Wir lernen durch diese Geschichte: Dein Kopf hat einen unglaublich großen Einfluss auf deine sportlichen Leistungen und Ergebnisse.

Das Prinzip von Rafael Nadal für mentale Stärke im Match

Jetzt kommt Rafael Nadal um den Netzpfosten geschlichen. Wir können nur erahnen, wie sehr ihn der Druck und die Erwartungen in den letzten 20 Jahren durch die Mangel genommen haben. Aber er hat solche Situationen wie ein Champion gemeistert. Wie schaffte Rafa das? Er sagte in einem Interview: "Ich kann auf dem Platz nur versuchen meine Probleme zu lösen. Mehr kann ich nicht tun!".

In diesem kurzen Satz steckt eine Lektion für jede Tenniskarriere. Der Matador verriet hier seine mentale Einstellung, wenn er vor 15.000 Zuschauern versucht sein persönlich bestes Tennis zu zeigen. Als einer der größten Tennisspieler aller Zeiten teilte er mit diesem kurzen Satz mit, was auf dem Court, im Wahnsinn eines Matches, in seinem Kopf vorgeht.

Wir gehen diese Lehre von Rafael Nadal jetzt Schritt für Schritt durch.

Was sind deine größten Probleme im Match?

Im Kern hast du zwei Bereiche, die du in jedem Match meistern kannst: Deine Gedanken und deine Schläge. Das sind die Bereiche, auf die du wirklich Einfluss nehmen kannst. Und exakt hier setzt Rafa mit seinen Problemen an. Zum Beispiel bist du zu Beginn eines Matches nervös. 

Du lässt den Arm nicht frei schwingen, du machst viele Fehler und dir fehlt dein Selbstvertrauen. Das sind die Probleme, die Rafa meint. 

Nun liegt es in deinem Aufgabenbereich Lösungen für diese Probleme zu finden. Das ist nicht immer leicht. Wie kannst du beginnen, diese Probleme zu lösen? Eine wirksame Methode ist die Frage-Technik. Du kannst mit Fragen dein Spiel, deine Schläge und auch deine Gedanken analysieren. Hier ein paar Ideen für dich: Stehst du gut zum Ball? Passt das Timing? Schaust du den Ball wirklich an? 

Vor allem zur letzten Frage möchte ich dir etwas mitgeben. Das Anschauen des Balles wird maßlos unterschätzt. Oft mögen die Augen auf dem Ball sein. Aber die Gedanken sind ganz woanders. In diesem kleinen Bereich haben viele Spieler unheimlich großes Potenzial. Wenn wir uns Studien von Novak Djokovic anschauen, dann sehen wir wie unfassbar konzentriert er den Ball anschaut. Ich habe beobachten können, dass er vor allem bei den Big-Points die Kugel wie ein Wahnsinniger bis zum Treffpunkt anschaut. Das ist etwas, das man sich merken sollte.

Wir kommen zurück zu deiner mentalen Einstellung im Match.

Fünf Beispiele, wie du mit Druck und Erwartungen im Match umgehen kannst 

Rafa sagt, konzentriere dich nur auf die Probleme, die du lösen kannst. 

Was bedeutet das für dich im Match? Es sollte dir egal sein, was deine Eltern und Trainer denken. Du kannst das nicht kontrollieren. Auch ihre Reaktionen auf deine Leistung kannst du unmöglich kontrollieren. Vielleicht ist dein Vater trotz deines Sieges unzufrieden, weil du bei 2:2 und 15:15 im ersten Satz den falschen Ball gespielt hast. 

Stell dir vor du denkst während der Seitenwechsel und zwischen den Ballwechseln nur an das, was deine Eltern und Trainer denken könnten. Legst du damit deinen Fokus auf die Probleme, die du gerade im Match hast? Ist der Gedanke an das Publikum der Weg, um das Match zu gewinnen? 

Oder solltest du lieber analysieren, wie du deine Vorhand giftiger, deine Rückhand sicherer und deinen Aufschlag platzierter spielen kannst?

Ich denke, wir beide kennen die Antwort.

Wir legen dir jetzt, zum Schluss dieses Artikels, noch fünf mentale Geheimwaffen auf dein Racket:

1) Analysiere früh im Match, idealerweise im Einspielen, die eine große Stärke und die eine große Schwäche deines Gegners. Überlege dann, wie du diese Informationen für deinen Erfolg nutzen kannst. Denke oft und intensiv im Verlauf des Matches an die Schwächen deines Gegners

2) Du kannst nicht kontrollieren, was im Verlauf des Matches passieren wird. Du kannst aber immer kontrollieren, wie du auf die Umstände reagierst

3) Vergiss zu keiner Zeit auf dem Platz, dass jedes Tennisspiel aus Phasen besteht: Mal spielst du stark, mal dein Gegner. Mal spielt ihr beide in einer Phase stark, mal spielt ihr beide schwach. Gib in jeder Phase dein Bestes 

4) Hab die Pyramide im Kopf: Deine Gedanken formen deine Emotionen, deine Emotionen formen deine Leistung. Wenn du deine Leistung verändern willst, dann beginne zunächst anders zu denken, nicht anders zu spielen

5) Wer lächelt und sich nicht zu ernst nimmt, spielt meist besser

Ich wünsche dir viel Erfolg und Spaß auf dem Platz.

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Mittwoch
19.07.2023, 15:35 Uhr
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