"Schwerste Prüfung meines Lebens"
Nichts an diesem Comeback ist selbstverständlich: Petra Kvitova kehrte nach ihrer schweren Handverletzung mit einem Sieg auf die große Tennisbühne zurück. Es ist eine der schönsten Geschichten bei diesen French Open.
von Jörg Allmeroth
zuletzt bearbeitet:
30.05.2017, 11:57 Uhr
Es war vier Tage vor Weihnachten, im vorigen Jahr, als die Tenniskarriere und vielleicht sogar das Leben von Petra Kvitova beinahe ein schreckliches Ende gefunden hätten. Es war ein eigentlich ruhiger Wintertag daheim in Prostejov, Kvitova bereitete sich auf die Feiertage, aber auch schon auf die nahende Abreise zu den ersten Tennisturnieren der neuen Saison vor. Und dann war da plötzlich ein Besucher an der Tür, einer, der sich dann als kaltblütiger Räuber entpuppte.
Kvitova hatte die Tür arglos geöffnet, und im nächsten Moment hatte sie auch schon ein Messer am Hals. Sie wehrte sich, sie stieß den Räuber weg, doch der verletzte sie schwer an der linken Hand. Alle fünf Finger waren geschädigt, die Sehnen, die Nerven. "Es war der Horror, ein Alptraum", sagt Kvitova, die zweimalige Wimbledonsiegerin. Viel später, am Ende eines wundersamen, auch wunderbaren Heilungsprozesses, wird der Chirurg Radek Kebrle sagen: "Die Chancen, dass Petra wieder Tennis spielen konnte, waren sehr gering. Die Verletzungen waren grauenvoll."
"Große Überraschung für mich selbst"
Und doch: Als am Sonntag die französischen Grand Slam-Festspiele im Stade Roland Garros begannen, nahe des Bois de Bologne, da war sie wieder mit im großen Spiel: Kvitova, die Comebackerin, das Verbrechensopfer, eine Mutter Courage des Tennis irgendwie auch. "Dass ich es in fünf Monaten zurück zu einem Turnier geschafft habe", sagte Kvitova, "ist wahrscheinlich eine große Überraschung. Am meisten für mich selbst. Es ist alles andere als normal, dass ich jetzt hier bin - in Paris."
Kvitova gewann die Partie gegen die Amerikanerin Julia Boserup in zwei glatten Sätzen, und nichts war dabei selbstverständlich. Nicht der Sieg, schon gar nicht die Selbstverständlichkeit und Überzeugungskraft, mit der die Tschechin spielte. Sie liebe Herausforderungen, habe Herausforderungen schon als kleines Kind immer angenommen, sagte Kvitova danach mit einem Lächeln, "aber dieses Comeback, das war die schwerste Prüfung, die mir bisher in meinem Leben gestellt wurde."
"Mutter Courage" kämpft sich zurück
Als Kvitova ehrenhalber das Turnier eröffnete, eine Art Verbeugung der Grand Slam-Manager vor der Rückkehrerin, da konnte man in der Spielerbox der Tschechin ein Bild der Einheit sehen. Alle aus Kvitovas Entourage, ob Fachpersonal, ob Trainer, ob Familie oder Freunde - sie alle trugen ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Courage, Glaube, Auf geht´s." Die Szene, die Worte - sie drückten noch einmal aus, was für das Gelingen dieses Comebacks stand: Die Gemeinsamkeit im Team Kvitova, der emotionale Rückhalt in dieser verschworenen Truppe, aber eben auch die Kraft und Leidenschaft der Hauptperson. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass es dieses Comeback geben würde. Ich wollte mir mein Leben nicht kaputtmachen lassen", sagt Kvitova.
Dabei gab es lange Zeit nicht viele Sicherheiten für sie, nur die vage Vorhersage der Ärzte nach der gelungenen Notoperation, dass sie vielleicht, eventuell und mit Vorbehalt in gut einem halben Jahr wieder Tennis würde spielen können. Aber wenn es stimmt, dass eine Heilung auch beeinflusst wird durch die Mentalität des Patienten, durch seinen Glauben an die Wiedergenesung, dann war Kvitova ein Exempel dafür. Sie begann früh damit, ihre Finger beweglich zu halten, ergriff auch schnell wieder Gegenstände. Als sie wieder einen Schläger in der Hand hielt, war es allerdings zunächst die rechte Hand - und es war ein Tischtennisschläger meist.
Größten Sieg bereits errungen
Die ersten Tennisübungen waren schmerzhaft, die Narben taten weh, die Finger schwollen an. Langsam, aber stetig stellten sich Verbesserungen ein, Kvitova nahm eine Wimbledon-Rückkehr ins Visier, entschied dann aber in letzter Sekunde, bereits in Paris den Start zu wagen. Vielleicht auch, um den ersten großen Trubel um dieses Comeback in Paris hinter sich zu haben. Und das Ballyhoo von Wimbledon weg zu lenken, von jenem Schauplatz, der mit ihren größten Triumphen verbunden ist, zwei Grand Slam-Titeln. "Meinen größten Sieg habe ich bereits errungen", sagte Kvitova in Paris, nach dem Auftaktsieg, "ich habe mich zurückgekämpft, mich nicht unterkriegen lassen."
Kvitova hatte nach dem Überfall einige schwere Tage erlebt. Nicht nur wegen der Verletzungen, der Ungewissheiten über ihre weitere Karriere. Sondern natürlich auch wegen des Verbrechens selbst, wegen des brutalen Räubers, der unerkannt entkam und bis heute gesucht wird. "Meine Familie, meine Freunde, sie waren immer für mich da. Dafür bin ich ihnen unendlich dankbar", sagt Kvitova, "das hat mir über die Ängste und Sorgen hinweggeholfen. Ich weiß, dass ich viel Glück gehabt habe."
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