Vincenzo Santopadre: „Ich musste Matteo von der Trennung überzeugen“
Beim Neckarcup in Heilbron sieht man den ehemaligen Profispieler Vincenzo Santopadre an der Seite des französischen Youngsters Luca van Assche. Davor betreute er über 13 Jahre lang seinen Landsmann Matteo Berrettini, den er bis ins Finale von Wimbledon führte. Im tennisnet-Interview spricht der 52-jährige über beide Trainer-Engagements.
von Dietmar Kaspar
zuletzt bearbeitet:
24.07.2024, 11:10 Uhr
Von Dietmar Kaspar aus Heilbronn
Ein solches Anforderungsprofil an einen Trainer, wie bei Vincenzo Santopadre, kann sich ein junger Spieler wie Luca van Assche nur wünschen. Der 52-jährige Italiener strahlt allzeit bedächtige Ruhe aus und kann auf die Erfahrung aller erdenklicher Bühnen des Tennissports zurückgreifen. Am spielfreien Tag seines französischen Schützlings beim ATP-Challenger-Turnier in Heilbronn nahm sich die ehemalige Nr. 100 der Welt die Zeit für ein ausführliches Interview.
tennisnet: Vincenzo, nach ihrer Karriere als Spieler ging es für sie als Trainer von Matteo Berrettini weiter. Wie kam die Zusammenarbeit damals zustande?
Vincenzo Santopadre: Als Matteo 14 Jahre alt war, kam er zusammen mit seinem Bruder Jacopo in meinen Tennisclub, wo ich mit anderen Coaches zusammen eine kleine Tennisschule betrieb. Das war nicht weit entfernt von ihrem ehemaligen Club, von dem sie sich aber lösen wollten, um sich neu aufzustellen. Ich kannte die Familie schon über mehrere Wege. Die Mutter der beiden Jungs ging mit mir zur Schule und der Großvater mütterlicherseits war Mitglied in dem Club, in dem bereits meine Eltern Tennis spielten. Ich hatte die beiden in jungem Alter schon bei nationalen Turnieren beobachtet und habe da schon großes Potenzial in ihnen gesehen. Somit war ich von Anfang an für eine Zusammenarbeit offen.
tennisnet: Ende letzten Jahres habt ihr die Zusammenarbeit beendet. Was waren die Gründe dafür?
VS: Die Entscheidung war nach der langen Zeit natürlich nicht einfach. Wir haben beide zusammen festgestellt, dass man auf professioneller Ebene auch mal etwas verändern muss. Er ist nach mehreren Verletzungen immer wieder auf unglaublich starke Weise zurückgekehrt. Aber wir wollten natürlich etwas anders machen, damit es gar nicht erst soweit kommt. Ich habe ihm dann mit auf den Weg gegeben, über die Möglichkeit eines Neuanfangs mit einem anderen Trainer nachzudenken. Anfangs hatte er Zweifel, aber es ging einzig und allein um seine Zukunft, deshalb habe ich ihn von dem Schritt überzeugt. Dies war nur möglich, da wir eine sehr gute Beziehung zueinander hatten und auch immer noch haben.
tennisnet: Auf welchem Weg sehen sie Matteo aktuell?
VS: Ich denke, er kann noch große Dinge erreichen. Welche das sein werden, kann ich natürlich nicht vorhersagen. Aber ich sehe, wie sehr er es will und dem Tennis immer die oberste Priorität einräumt. Diese Energie, die er dafür entfachen kann, ist schon etwas ganz Besonderes. Als ich ihn vor Kurzem getroffen habe, war er sehr niedergeschlagen, da er die Turniere in Rom und Roland Garros nun zum dritten Mal in Folge nicht bestreiten konnte. Gerade für ihn als Lokalmatador ist das Verpassen des Turniers in Rom besonders hart. Aber ich bin mir sicher, dass er auch aus diesem Tief wieder gestärkt zurückkehren wird.
Ivan Ljubicic der Kontakt zu Luca
tennisnet: Jetzt arbeiten sie mit dem jungen Franzosen Luca van Assche zusammen, den sie auch hier beim Challenger-Turnier in Heilbronn betreuen. Wie kam es dazu?
VS: Luca arbeitet seit mehr als neun Jahren sehr erfolgreich mit dem Coach Yannick Quere zusammen. Nachdem er es mit einem zusätzlichen, neuen Trainer für die Tour probiert hatte, hat dies nicht lange angehalten und wurde im September letzten Jahres beendet. Mich hat dann Ivan Ljubicic, der seit zwei Jahren für den französischen Tennisverband das Projekt „Ambition 2024“ zur optimalen Förderung des Nachwuchses mit der Ausrichtung auf die olympischen Spiele verantwortet, mit einer Nachricht kontaktiert, dass Luca einen neuen Coach sucht und sich gerne mit mir in Verbindung setzen würde. Ich fand es sehr bemerkenswert, dass er mich trotz seines jungen Alters persönlich kontaktiert hat und dies nicht über einen Manager oder die Eltern passierte. Ich hatte zwar auch andere Optionen, aber ich wollte es unbedingt mit ihm probieren.
tennisnet: Was reizt sie an der Aufgabe besonders?
VS: Für mich ist es immer wichtig, dass ich eine Aufgabe aus Leidenschaft betreibe und nicht aus dem Grund heraus, dass es nur eine Arbeit für mich ist. Das Projekt mit Luca ist besonders interessant, da er noch sehr jung ist und man als Coach sehr viel beeinflussen kann. Er hat noch unheimlich viele Möglichkeiten in seinem Spiel. Zudem spricht er auch italienisch, da seine Mutter ursprünglich aus dem Land kommt. Ebenso teile ich die Trainerarbeit mit seinem bisherigen Coach und bin deshalb vom Kalender her nicht so exklusiv eingespannt wie früher. Die Kombination aus all diesen Dingen macht die Aufgabe für mich so reizvoll.
tennisnet: Wo sehen sie die Stärken und Schwächen von Luca auf dem Court?
VS: Luca ist ein sehr höflicher und freundlicher Kerl, der abseits des Platzes sehr ruhig ist. Auf dem Platz ist er körperlich sehr stark, muss aber noch lernen, dort etwas besser auf Schwierigkeiten zu reagieren. Aber ich denke, das ist für Spieler in seinem Alter nichts Ungewöhnliches. Viele Dinge, die er zum ersten Mal erlebt, muss er erst für sich herausfinden. Er hatte eine unglaubliche Junioren-Karriere mit dem Grand-Slam-Titel in Roland Garros und sich bei den Herren atemberaubend schnell in die Top 60 gespielt. Es gilt nun, an seiner Konstanz auf dem Platz zu arbeiten.
Kartenspiel schlägt Smartphone
tennisnet: Wie verbringen sie die Zeit mit ihm zwischen den Matches?
VS: Es macht mir großen Spaß, auch abseits des Tennis viel Zeit mit ihm zu verbringen. Wir spielen oft das italienische Kartenspiel Scopa, bei dem es nicht so sehr auf das Glück ankommt, sondern strategisches Vorgehen gefragt ist. Er verbessert sich da von Tag zu Tag und er wird diese Erfahrungen auch auf dem Platz umsetzen können.
tennsnet: Wie wichtig ist es ihnen, dass sich ihr Spieler in der Freizeit auch mit anderen Dingen als seinem Smartphone beschäftigt?
VS: Wir leben in schwierigen Zeiten mit den Möglichkeiten dieser Smartphones. Ich bin unglaublich froh, dass ich vor langer Zeit ohne diese Geräte aufgewachsen bin. Damals haben die Spieler viel mehr Zeit miteinander verbracht und zusammen Karten oder etwas anderes gespielt. Zudem hat man auch öfter mal ein Buch gelesen. Mit diesen digitalen Geräten verpassen die Spieler viele wichtige Möglichkeiten. Sozialer Kontakt findet da meist nur noch über Instagram oder Facebook statt.
tennisnet: Wo trainieren sie hauptsächlich mit Luca?
VS: Luca ist in Paris stationiert, wo er außerhalb der Turniere mit seinem festen Coach Yannick arbeitet. Nach seiner Niederlage in Roland Garros sind wir noch in Paris geblieben und haben dort weitergearbeitet. Ansonsten trainiere ich mit ihm fast ausschließlich auf den Turnieren.
tennisnet: Auf welchen Belägen sehen sie seine Stärken?
VS: Am meisten liebt er den Sand, denn darauf ist er aufgewachsen und fühlt sich dort am natürlichsten. Er spielt aber auch sehr gerne auf Hard-Court, wo er sich sehr schnell verbessert hat. Und ich bin mir sicher, dass er auch ein sehr gutes Spiel für den Rasen hat, wenn er noch einige Dinge darauf lernt. Dies ist natürlich nicht ganz so einfach, da es in der Saison wenige Turniere darauf gibt. Für die Entwicklung seines Spiels und seiner Technik ist es wichtig, sich auf allen Belägen zu verbessern.
tennisnet: Welches Ziel treibt Luca hauptsächlich an?
VS: Er ist Franzose, lebt in Paris und hat schon den Junioren-Titel in Roland Garros gewonnen. Somit ist es natürlich sein allergrößter Traum, im Einzel der Herren bei den French Open zu triumphieren. Daran werden wir hart arbeiten, damit sich der Traum irgendwann auch erfüllen wird.
Vielen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute für die Zusammenarbeit mit ihrem Schützling.