French Open: Wo ist Martina Hingis, wenn man sie braucht?
Simona Halep und Sloane Stephens stehen im Finale der French Open 2018. Vor allem die Rumänin hat sich in ihr drittes Endspiel in Paris gepowert. Von Stephens ist ein bisschen mehr Finesse zu erwarten.
von Jens Huiber
zuletzt bearbeitet:
09.06.2018, 08:00 Uhr
Martina Hingis hat ein sehr nettes Bild aus Roland Garros mitgenommen, jenem Ort, an dem sie 1999 eine sehr bittere Niederlage gegen eine danach sehr glückliche Stefanie Graf erlitten hat. Hingis posierte vor einer großen Fotowand, dort, wo im letzten Jahr noch der Court 2 gestanden hatte. Hingis sah sehr entspannt aus, ihre glorreiche Karriere ist seit mehr als einem Jahr abschließend in den Geschichtsbüchern verankert.
Gleich nebenan prügelten Maria Sharapova und Garbine Muguruza den Filz von den Tennisbällen, untermalt von martialischem Geschrei. Beides keine Alleinstellungsmerkmale, und warum auch? Wer prügelt, gewinnt. Dass die Bälle im Training mit derselben Geschwindigkeit, aber ohne Begleitgeräusche gespielt werden, erstaunt längst nicht mehr. Gamesmanship. Auch das Match von Rafael Nadal gegen Diego Schwartzman war im Übrigen ein Naturereignis mit akustischer Note.
Einzigartige Begabung von Martina Hingis
Martina Hingis hat nie gebrüllt. Geprügelt schon gar nicht. Die Schweizern hat den Platz beherrscht, im wahrsten Sinne des Wortes. Ja, Hingis war mit einer einzigartigen Begabung gesegnet, die sie auch in Ihrer Zeit als Doppelspielerin unter Beweis zu stellen wusste. Hingis konnte viele Dinge, die nur schwierig zu lernen sind, wenn überhaupt. Und wurde dennoch von der nachfolgenden Generation um Venus und Serena Williams, auch Lindsay Davenport, in den Einzel-Vorruhestand geprügelt.
Körperliche Gebrechen, private Kalamitäten taten ein Übriges.
Nie wäre eine Spielerin wie Martina Hingis wichtiger für das Damentennis als in diesen Tagen. Denn zumindest beim Matchplan der Swiss Miss ließen sich Anleihen nehmen. Einen Tag nach ihrem überzeugenden Erfolg gegen Sharapova hat Garbine Muguruzra gegen Simona Halep verloren. Anzahl der der nicht in ärgster Bedrängnis gespielten Slice-Bälle im gesamten Match: null. Stoppbälle: ebenfalls zero.
Wie zum Trotz hat Sloane Stephens ihr Halbfinale gegen Madison Keys mit einem Rückhand-Slice-Angriff eröffnet. Vielleicht überrascht die US-Amerikanerin im samstäglichen Finale ja mit einem Festival der Guten-Laune-Schläge.
Kasatkina und Kerber hätten die Mittel
Früher sprach der Tennisexperte gerne von der tschechischen Schule, bei der jede Art von Spin verpönt ist. Tschechien hat die Weltspitze bei den Damen längst erobert. Mit ganz wenigen Ausnahmen.
Daria Kasatkina hat in ihrem Playbook Schnittwechsel und Winkelspiel anzubieten, die Russin ist auf dem Weg nach vorne, noch flattern zu oft die Nerven.
Angelique Kerber hat Halep zu Beginn ihres Viertelfinales mit einem Stopp irritiert, kürzere Cross-Bälle versucht - und sich dann doch wieder auf eine Treibschlagduell eingelassen. In dieser Disziplin ist die Rumänin aber schlicht besser. Dabei ist die deutsche Nummer eins längst Meisterin in der Kunst des Drop Shots.
Hingis berät Bencic
2018 kann niemand mit dem 1997er-Tennis von Hingis Erfolg haben, natürlich. Finesse und Variation würden die Gewinnaussichten aber drastisch erhöhen. Madison Keys hat das nach ihrer Niederlage gegn Stephens sinngemäß so formuliert: Spielerinnen wie Halep und ihre Landsfrau Sloane müsse man irgendwie von der Grundlinie wegbekommen.
Martina Hingis ist nach vielen Monden auf der Tour vielleicht noch nicht bereit, sich als Coach wieder dem Reisestress auszusetzen. Eine beratende Tätigkeit bei Belinda Bencic bekleidet die 37-Jährige ja schon. Vielleicht finden sich aber ein paar Trainer von jungen Spielerinnen, die sich mit ihren Schützlingen von den Matches von Hingis eine Scheibe abschneiden. Belastendes Videomaterial gibt es im Internet genügend.