"Man muss leider irgendeine Kröte schlucken"
Barbara Rittner spricht im Exklusiv-Interview mit tennisnet.com über ihr Amt als Fed-Cup-Kapitänin, Deutschlands Aussichten im Fed Cup und die Erfolge von Angelique Kerber.
von Interview: Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
21.12.2016, 14:30 Uhr
tennisnet.com: Frau Rittner, Sie sind seit Anfang 2005 Fed-Cup-Kapitänin und damit länger im Amt als Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gibt es bei Ihnen schon Anzeichen von Amtsmüdigkeit?
Barbara Rittner: Natürlich bin ich zwischendurch mal müde. Wenn etwas Zeit ins Land geht nach den anstrengenden Wochen zu Beginn des Jahres mit den beiden Fed-Cup-Partien im Februar und April, freue ich mich dann auch wieder auf die neue Aufgabe, wie nun bald auf Hawaii. Wo ich etwas müde geworden bin, ist bei der Reiserei, auf die ich hin und wieder verzichten könnte. Aber ohne die Reiserei könnte ich den Job nicht so gut machen, das gehört nun mal dazu. Die Arbeit mit dem Fed-Cup-Team und den jungen Talenten macht mir nach wie vor sehr viel Spaß.
tennisnet.com: Sie haben 2004 in Ihrem letzten Fed-Cup-Match mit drei Siegen dem deutschen Team den Klassenerhalt gesichert. Im nächsten Match saßen Sie dann bereits auf der Bank. Wie lief die Umstellung auf die neue Situation?
Rittner: Wir hatten ein Auswärtsspiel in der Ukraine. Die Situation war ziemlich kurios. Ich habe damals mit sehr vielen Schmerztabletten gespielt, weil ich einen Fersensporn hatte. Es war ziemlich an der Grenze. Danach ging es mir dementsprechend schlecht. Ich habe gespürt, dass es meine letzte Fed-Cup-Partie sein würde.
Gleichzeitig habe ich gewusst, dass der DTB in Person von Georg von Waldenfels Interesse an mir als Fed-Cup-Kapitänin angedeutet hat. Ich habe mir darüber konkrete Gedanken gemacht, wie es aussehen könnte. Eine meiner Bedingungen war es, neben dem Fed Cup auch in der Jugendarbeit mitzuwirken. Im Nachhinein war es die beste Entscheidung, die ich für mein Leben und meine persönliche Entwicklung treffen konnte, weil man Herz am Tennis hängt.
tennisnet.com: Im Gegensatz zum deutschen Davis-Cup-Team, wo es seit Jahren immer wieder Querelen gibt, besticht das Fed-Cup-Team durch Harmonie. Von dem oft besagten Zickenkrieg ist nichts zu sehen. Wie sorgen Sie für Harmonie oder auch dafür, dass kein Streit nach außen dringt?
Rittner: Ich alleine kann das sicherlich nicht. Ich habe das Glück, dass ich ein wunderbares Betreuerteam um mich versammelt habe. Dirk Dier als Co-Trainer und die beiden Physios, die lange dabei sind, Mike Diehl als Konditionstrainer oder unseren Arzt Ulf Becker, jeder hat seine Rolle in der Fed-Cup-Woche.
Ohne mein Team könnte ich nie dieses Bauchgefühl entscheiden lassen über gewisse Dinge oder unter der Woche richtig zu reagieren und auf jede Spielerin eingehen zu können. Was noch hinzukommt, ist, dass ich Glück habe mit den Charakteren der Spielerinnen, die alle den Fed Cup auf ihre Prioritätenliste geschrieben haben und an Grenzen gegangen sind, so wie bei der Reise nach Australien, wo im Anschluss der Porsche Tennis Grand Prix stattgefunden hat. Genau deshalb wünsche ich dieser Generation so sehr, dass sie noch mal ins Fed-Cup-Finale kommt und um den Titel spielt.
Editorial - Tennisnet und SPOX: We are One!
tennisnet.com: Angelique Kerber ist in der Form Ihres Lebens. Muss man daher nicht sagen, wenn Deutschland den Fed Cup gewinnen soll: Wenn nicht 2017, wann dann?
Rittner: So könnte man ein bisschen denken. Ich denke, dass wir bis 2019 gute Chancen haben. Eigentlich wäre 2016 das Motto gewesen: Wann dann? Angie hat nach dem Triumph bei den Australian Open das Einzel gegen Belinda Bencic entkräftet verloren, wo Bencic auch überragend gespielt hat. Es gibt immer irgendwelche Konstellationen. Frankreich war dieses Jahr im Finale und hätte es beinahe gewonnen, und das mit keiner Spielerin unter den Top 20. Fed Cup hat seine eigenen Gesetze. 2017 ist natürlich viel möglich, aber wenn man in den USA gegen Serena Williams und Madison Keys spielt, kann man auch mit 0:5 nach Hause fliegen.
tennisnet.com: Wie haben die Spielerinnen die Nachricht aufgefasst, dass die Partie in den USA auf Hawaii stattfinden wird?
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge, wobei das weinende Auge größer ist. Nach den Australian Open ist eine Woche dazwischen bis zum Fed Cup. Daher geht es nicht, dass man in Australien bleibt und dann weiterfliegt. Die Spielerinnen werden nach Hause fliegen, was eine große Belastung ist. Man fliegt 23 Stunden in die eine Richtung, hat dann in Deutschland mit Jetlag und Temperaturstürzen von 30 bis 40 Grad zu kämpfen, um eine Woche später 18 Stunden in die andere Richtung zu fliegen. Danach geht es weiter mit Doha, Dubai und Indian Wells und Miami. Die Spielerinnen wären im April platt, wenn sie das alles spielen.
tennisnet.com: Wie beurteilen Sie die Reformpläne für den Fed Cup, die ITF-Präsident David Haggerty angedacht hat?
Rittner: Ich sehe das kritisch, weil ich nicht finde, dass man ein Final Four spielen sollte. Wir haben das kontrovers diskutiert, er kennt meine Meinung. Auf der anderen Seite ist es offensichtlich so schwer, für die Aufstockung der Weltgruppe auf 16 Nationen einen vierten Termin zu bekommen. Für mich hat die Aufstockung Priorität, weil es nicht sein kann, dass nur acht Nationen um den Titel spielen. Rumänien ist dieses Jahr gegen uns abgestiegen mit der Nummer zwei und der Nummer 30. Uns hätte das auch passieren können, dann würden wir mit der Nummer eins in der zweiten Weltgruppe spielen. Wenn es unmöglich ist, einen weiteren Termin zu finden, muss man leider irgendeine Kröte schlucken. Ich würde die Kröte Final Four schlucken, damit es 16 Nationen in der Weltgruppe gibt.
tennisnet.com: Finden Sie die Regelung gut, dass im Fed Cup das Doppel zum Schluss gespielt wird oder würden Sie sich die Variante wie beim Davis Cup wünschen?
Rittner: Ich finde unsere Variante, so wie wir sie spielen, gut. Ich habe schon des Öfteren gehört, dass überlegt wird, im Davis Cup unseren Modus mit den zwei Gewinnsätzen komplett zu übernehmen, damit man an zwei Tagen spielen kann.
tennisnet.com: Sie haben die Entwicklung von Angelique Kerber vom schüchternen und sich selbst zweifelnden Teenager zur Weltranglisten-Ersten hautnah miterlebt. Was hat Sie am meisten überrascht Kerbers Aufstieg?
Rittner: So richtig überrascht bin ich nicht mehr, ich bin sehr beeindruckt. Ihre Entwicklung als Spielerin und die einhergehende Entwicklung als Persönlichkeit, finde ich unglaublich. Das habe ich ihr auch in einer persönlichen Mail geschrieben. Es hat etwas von einer Raupe zum Schmetterling. Angie ist so viel selbstbewusster und reflektierter geworden. Das ist gigantisch, das mitzuerleben. Ihr ist es aber immer ganz wichtig, dass sie bleibt, wie sie ist: bodenständig und zurückhaltend. Da hat sie mit Torben Beltz und ihrer Mutter zwei Personen, die total normal und unaufgeregt bleiben.
tennisnet.com: Finden Sie die Erfolge von Kerber in den deutschen Medien entsprechend gewürdigt?
Rittner: Ich finde, dass es derzeit sehr gewürdigt wird. Sie ist fast jede Woche in den großen Sendungen. Man liest sehr viel über sie. Ich glaube, wenn man Angie fragen würde, dass sie sagen würde, dass sie nicht noch mehr machen kann. Sie hat viele neue Sponsoren dazugewonnen und ist an Topmarken vergeben. Alleine das ist eine Riesenanerkennung und zeigt ihren Stellenwert in der Öffentlichkeit.
tennisnet.com: Für Andrea Petkovic und Sabine Lisicki war es ein extrem schwieriges Jahr. Was müssen die beiden tun, um die Trendwende zu schaffen?
Rittner: Erst mal müssen beide gesund bleiben und ihren Kopf zusammenhalten im Sinne von sich weniger Druck machen. Vor allem Andrea scheitert an ihren eigenen hohen Erwartungen. Wenn ich sie im Training spielen sehe, dann spielt sie Toptennis. Sie fragt sich immer selbst, warum der Knoten nicht platzt. Ich glaube, dass sie es zu sehr erzwingen will. Ich würde mir wünschen, dass sie auch mal wieder einen Schokokuchen ist oder ausschläft und eine Trainingseinheit weglässt. Bei Sabine ist es so, dass sie wieder ihre Ruhe finden und ihre private Situation abhaken muss, wo sie auf einem guten Weg ist. Für sie war es ein sehr schwieriges Jahr, sie hat darunter sehr gelitten. Ich hoffe, dass sie den Spaß wiederfindet und sich durch harte Arbeit zurückkämpft.
tennisnet.com: Auf welche deutsche Spielerin sollten wir 2017 ganz besonders achten?
Rittner: Letztes Jahr habe ich klar gesagt, dass Angelique Kerber ein Grand-Slam-Turnier gewinnen wird und Anna-Lena Friedsam gut spielen wird. Leider hat sich Anna-Lena nun eine schwere Schulterverletzung zugezogen. Ich würde sagen, dass Carina Witthöft nächstes Jahr in die Top 50 kommen wird. Bei den Jüngeren sollte man einen Blick auf Katharina Hobgarski haben, die nun viele ITF-Turniere in Folge gewonnen hat und sich 2017 in den Top 200 etablieren sollte.
tennisnet.com: Wenn Sie Ihre Nachfolgerin oder Nachfolger bestimmen könnten: Wem würden Sie diese Aufgabe gerne anvertrauen?
Rittner: Ich habe mir bereits viele Gedanken dazu gemacht. Als erstes würde man den Co-Trainer fragen. Dirk Dier würde es aber nicht machen wollen und fühlt sich als Co-Trainer perfekt aufgehoben. Ich habe jemanden konkret im Auge, der meine absolute Priorität wäre, aber den Namen möchte ich nicht öffentlich verraten, das wäre nur kontraproduktiv.