Djokovic-Buch: So wurde der eigene Körper für den Serben heilig
Novak Djokovic polarisiert wie kein anderer Sportler. Aber wie tickt der Tennisstar und Querschläger wirklich? In der ersten großen Biografie („Ein Leben lang im Krieg“) erklärt Autor Daniel Müksch, wie der Serbe zum Impfskeptiker werden konnte. Ein exklusiver Auszug.
von tennisnet.com
zuletzt bearbeitet:
22.03.2022, 09:14 Uhr
Die spektakulärste Niederlage im Leben von Novak Djokovic endet nicht mit einem Handshake am Netz, sondern mit einem einstimmigen Richterspruch am Bundesgericht Melbourne. Der Serbe darf nicht an den Australian Open 2022 teilnehmen. Nicht versuchen, seinen 21. Grand-Slam-Titel zu erringen und Rafael Nadal und Roger Federer in diesem Ranking hinter sich lassen. Nicht das ausüben, was nie ein Tennisspieler zuvor erfolgreicher dargeboten hat.
Wer ist der Mann, der die Welt Anfang 2022 in Atem hält? Der in diesen denkwürdigen Tagen für ein Symbol für kategorische Impf-Verweigerer, Querdenker, serbische Nationalisten auf der einen und zu einem Justiz-Opfer, Politik-Spielball, Freiheitskämpfer auf der anderen Seite geworden ist.
In „Novak Djokovic – Ein Leben lang im Krieg“ (Werkstatt-Verlag/22€) taucht Autor Daniel Müksch tief in die Kindheit des erfolgreichsten Tennisspielers der letzten Jahre ein. In eine Kindheit, die mit wenigen finanziellen Mitteln aber glücklich zwischen dem serbischen Belgrad und den Bergen von Kopaonik verläuft. Bis der Krieg die Unbeschwertheit brutal beendet. Eine Kindheit mit Nächten im Luftschutzkeller, zerbombten Häusern und der Suche nach Normalität. Novak Djokovic findet Normalität im Tennis. Startet eine einmalige Karriere. Er wird aber auch zur Streitfigur. Schon zu Beginn seiner Karriere gilt Novak Djokovic als äußerst talentierter Tennisspieler, aber auch als Spieler, der schnell aufgibt. Vor allem, sobald sich eine Niederlage anbahnt. Wirklich in den Griff bekommt der Serbe dieses Problem erst im Jahr 2010. In diesem Jahr taucht ein Alternativ-Mediziner aus Zypern mit serbischer Herkunft an seiner Seite auf – Dr. Igor Cetojevic. In „Novak Djokovic – Ein Leben lang im Krieg“ blickt Autor Daniel Müksch auf die Entstehung dieser besonderen Beziehung zwischen Cetojevic und Djokovic.
Tennisnet-User können hier ein Auszug aus der Biografie des Serbens lesen:
Für 2010 setzt das Team Djokovic um Marjan Vajda und Gebhard Gritsch auf die gleiche Saisonvorbereitung wie zwei Jahre zuvor. Viel Training, aber kein Turnier zum Einspielen. Djokovics erster Auftritt sind gleich die Australian Open in Melbourne. Im Viertelfinale von Melbourne kommt es zum Match gegen Jo-Wilfried Tsonga. Das Match liefert vom ersten Ballwechsel an Weltklasse-Tennis, kein Vergleich mit dem Endspiel der beiden zwei Jahre zuvor, das ein schwaches Grand-Slam-Finale gewesen ist. 2008 gewann mit Djokovic der Spieler, der weniger Fehler fabrizierte. 2010 siegt der Spieler, der in den entscheidenden Momenten sein Herz in die Hand nimmt und den Gegner unter Druck setzt. Im ersten Satz ist das der Muskelkoloss aus Frankreich. 7:6 für Tsonga. Den zweiten Satz krallt sich Djokovic mit 7:6. Langsam übernimmt der Serbe die Kontrolle über die Begegnung. Es scheint, als würde er das atemberaubende Match dank seiner Fitness für sich entscheiden können. Mit 6:1 geht auch der dritte Satz an ihn.
Nach nur einem Spiel im vierten Satz die dramatische Wende. Vor wenigen Minuten hat Djokovic sich noch topfit und dem Gegner überlegen gefühlt. Jetzt das: Er bekommt keine Luft mehr. Beim Stand von 0:2 spürt der Serbe, dass ihm übel wird. Etwas steigt seine Kehle hinauf. Er flüchtet in die Umkleidekabine. Eigentlich eine unerlaubte Wettkampfpause. Der Weltranglistendritte rennt direkt am Oberschiedsrichter vorbei, der dem Stuhlschiedsrichter signalisiert, dass die Sache in Ordnung geht. Djokovic soll sich lieber allein in den Waschräumen übergeben als vor den Augen von Tausenden Fans im Stadion und vor Millionen vor den Bildschirmen. „Ich fühlte mich, als würde ich meine ganze Kraft auskotzen“, beschreibt Djokovic die Situation später. Kraftlos muss sich der Serbe nach seiner Rückkehr auf den Platz geschlagen geben. Tsonga hat sich von der Unterbrechung nicht aus dem Rhythmus bringen lassen und macht kurzen Prozess: Mit 6:3 und 6:1 gewinnt er die Sätze vier und fünf und zieht ins Halbfinale von Melbourne ein.
Die Djokovic-Box ist geschockt. Das kann doch nicht wahr sein! Geht denn das schon wieder los? Dabei geht eine Sache fast unter: Djokovic hat nicht aufgegeben, obwohl er einen triftigen Grund gehabt hätte. Diesmal hat er sich durchgebissen – und trotzdem verloren. Der Saisonauftakt endet mit einer unschönen Reise in die Vergangenheit. Der Körper des Serben streikt.
Einer der Millionen TV-Zuschauer an diesem 26. Januar 2010 ist Dr. Igor Cetojevic. Er verfolgt den Kampf in Melbourne von Zypern aus. Auf der Mittelmeerinsel hat der Alternativmediziner seine Praxis. Das Spiel läuft spät abends in Australien und am Dienstagmorgen auf Zypern. Glücklicherweise stehen für Dr. Cetojevic zu dieser Zeit keine Termine an. Der serbische Mediziner hat den Namen Novak Djokovic zwar schon einmal gehört, ist aber kein Tennisfan. Die Karriere seines in der Heimat verehrten Landsmanns hat er bisher nur am Rande verfolgt. Seine Frau Francesca allerdings schwärmt von dem serbischen Tennisspieler und freut sich auf dessen Match gegen Tsonga. So sitzt das Ehepaar an diesem Dienstagvormittag gemeinsam vor dem Fern-seher. Bei den Szenen, in denen Djokovic körperlich am Ende scheint, spekuliert der TV-Kommentar wiederholt, dass die Nummer drei der Welt mal wieder mit Asthma zu kämpfen habe. Der Zuschauer auf Zypern wundert sich. Asthma? „Das kann gar kein Asthma sein, habe ich immer wieder in Richtung des Fernsehers gerufen“, wird Dr. Cetojevic später der englischsprachigen Tageszeitung Gulf News erzählen. „Nach meiner Erfahrung mit der traditionellen chinesischen Medizin tritt Asthma fast immer am Morgen auf. Das Match von Novak war aber am Abend australischer Zeit. Und wenn er wirklich Asthma-Probleme gehabt hätte, wäre er nicht in der Lage gewesen, zuvor zwei exzellente Sätze zu spielen.“
So ein abrupter Energieverlust ist Dr. Cetojevic schon oft begegnet. Er ist sicher, auch aus über 14.000 Kilometer Entfernung die Ursache dafür erkannt zu haben: „Ich nahm an, dass die Probleme von Novak aus einem Ungleichgewicht im Verdauungstrakt herrühren. Ausgelöst von einer Ansammlung von Giften in seinem Darm. In der klassischen chinesischen Medizin sind die Lungen mit dem Dickdarm verbunden.“ Cetojevic schaltet wütend den Fernseher aus. Und überlegt. Djokovic? Bei Gesprächen mit serbischen Freunden ist der Name häufiger mal gefallen. Seine Frau wirft ein, dass ein gemeinsamer Freund den Vater des Tennisspielers kenne. Sie versuchen, über diesen Freund die Familie zu kontaktieren. Die Kontaktaufnahme gelingt. Nach einigen terminlichen Hürden kommt es im Juli 2010 zum ersten Treffen zwischen Dr. Igor Cetojevic und Novak Djokovic. Am Rande der brisanten Davis-Cup-Begegnung zwischen Kroatien und Serbien in Split.
Der Tennisspieler stellt sich für das Treffen mit dem Arzt auf eine große, umfängliche Untersuchung ein. Doch der Gast aus Zypern macht nur einige physikalische Tests und hat nach wenigen Minuten einen Befund parat: „Es gibt starke Anzeichen dafür, dass ihr Körper den Weizen im Brot abstößt.“ Djokovic hört aufmerksam zu. Vom ersten Moment an hat er das Gefühl, Cetojevic versteht ihn. Die serbische Herkunft eint. Fühlt sich Djokovic in der Folge bei seinen Reisen um die Welt oft missverstanden, ist der Mediziner für ihn ein Stück Heimat. Und Cetojevic glaubt an alternative Heilmethoden. Wie Djokovic. Schon früh ist der Tennisprofi der klassischen Medizin gegenüber skeptisch eingestellt, was ihn im Laufe seiner Karriere noch vor große Probleme stellen wird. Der Glaube an Selbstheilungskräfte und die Skepsis gegenüber Medikamenten und Impfungen haben er und Dr. Igor Cetojevic gemein.
So schließt der Arzt bei der ersten Untersuchung in Split ein Biofeedback-Gerät an den Kopf und die Handgelenke von Djokovic an. Das Gerät wandelt schwer sichtbare Signale der Muskelspannung, des Hautwiderstands und der Hauttemperatur in Signale auf einem Monitor um. Für Cetojevic ist das Ergebnis klar: Der berühmte Patient steht unter permanentem, ungesundem Stress. Hinzu kommt, dass der sogenannte ELISA-Test – ein Bluttest, mit dem man Nahrungsmittelintoleranzen nachweisen kann – bei Djokovic eine starke Intoleranz gegen Weizen und Milchprodukte sowie eine leichte Unverträglichkeit gegen Tomaten ausweist.
Für seinen tennisspielenden Landsmann hat der Mediziner eine klare Botschaft: Wenn er möchte, dass sein Körper ihm nicht mehr im Weg steht, muss Novak Djokovic sofort seine Ernährung umstellen. Er, dessen Eltern einst eine Pizzeria betrieben und der mit Unmengen an Brot aufgewachsen ist, soll auf einmal komplett darauf verzichten? Djokovic verspricht Cetojevic, sich mit dem Thema zu beschäftigen, doch das ist dem Arzt zu wenig. Er überredet Djokovic zu einer 14-tägigen Probephase. Zwei Wochen, in denen der Tennisprofi völlig auf Brot und andere Weizenprodukte verzichten soll. In seinem 2013 erschienenen Buch „Siegernahrung – glutenfreie Ernährung für Höchstleistung“ umreißt Djokovic diese Zeit als qualvoll, doch habe sich schnell eine Veränderung eingestellt. Vor allem habe er besser geschlafen, sei nachts nicht mehr mit Atemproblemen aufgewacht und habe sich tagsüber topfit gefühlt. Nach den 14 verzichtsreichen Tagen berichtet der Tennisprofi dem Arzt von seinen Erlebnissen. Cetojevic erlaubt ihm als Belohnung für die Disziplin einen Bagel. Doch der vermeintliche Genuss geht nach hinten los. „Ich hatte das Gefühl von einem schrecklichen Kater“, beschreibt Djokovic den Morgen nach seiner Bagel-Belohnung. Das sei der Moment gewesen, in dem er beschlossen habe, seine Ernährung radikal zu ändern.
Vertreter der Schulmedizin werden auf die Gefahren hinweisen, die von Medizinern wie Cetojevic ausgehen. Für viele seiner Thesen fehlt eine breite wissenschaftliche Grundlage. Privatpersonen sollten die Methoden des serbischen Arztes mit Vorsicht genießen. Für Djo- kovic hat es funktioniert. In erster Linie, weil Cetojevic nicht nur den Körper des Serben, sondern auch seinen Glauben, seinen Geist erreicht hat. Und dieser versetzt bei Novak Djokovic keine Berge. Er versetzt Gebirgsketten.
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