Sascha Bajin im Exklusiv-Interview: "Das klare Ziel ist, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen"
Sascha Bajin wird mit der ehemaligen Weltranglistenersten Karolina Pliskova in die neue Saison gehen. Im großen tennisnet-Interview spricht der deutsche Erfolgscoach über seinen neuen Job, "toxische" Kommentare in sozialen Medien, "schreckliche" Folgen des Coronavirus und seine beiden ehemaligen Arbeitgeberinnen Naomi Osaka und Serena Williams.
von Nikolaus Fink
zuletzt bearbeitet:
07.12.2020, 17:50 Uhr
Herr Bajin, die wichtigste Frage vorweg: Wie geht es Ihnen in diesen schwierigen Zeiten?
Ich bin derzeit in Marbella und mir geht es ganz gut. Ich war in der vergangenen Woche ein bisschen krank und hatte leichte Magenbeschwerden. Ich hatte zwar kein Fieber, aber leichte Übelkeit und natürlich wird man in Zeiten wie diesen dann auch gleich auf Corona getestet. Der Test fiel aber zum Glück negativ aus – es war wohl nur ein Magen-Darm-Virus. Daher ist soweit alles gut.
Dann kommen wir gleich auf Ihren neuen Job zu sprechen: Die Nachricht, dass Sie mit Karolina Pliskova in die kommende Saison gehen werden, rief in der Tennisszene einiges an Überraschung hervor. Können Sie schildern, wie die Zusammenarbeit zustande kam?
Ich habe mit ihrem Mann Michal, der so etwas wie Karolinas Manager ist, schon länger guten Kontakt gehabt. Nachdem die Zusammenarbeit von Dayana (Yastremska, Anm.) und mir nach den US Open beendet war, kam die Anfrage von ihm. Ich war zu dieser Zeit gerade in Amerika und es war aufgrund der Distanz zwar etwas schwierig, aber wir haben zwei- bis dreimal über FaceTime gesprochen. Dann habe ich auch mit Karolina geredet. Wir kennen uns ohnehin von der Tour, weil sie schon ewig dabei ist und ich war daher auch kein Fremder für sie. Es gibt auf der Tour Spielerinnen, mit denen man etwas mehr redet, bei ihr war das zuvor aber eher nicht der Fall. Ich habe sie persönlich daher nicht so gut gekannt, aber es lief dann eigentlich sehr einfach und gemütlich ab. Ich habe mir selbst keinen Druck gemacht, weil ich schon so lange dabei bin und ursprünglich nicht gleich auf der Tour weitermachen wollte. Es muss auch für mich Sinn machen, mit einer Spielerin zusammenzuarbeiten. Ich muss an sie glauben und spüren, dass sie etwas Großartiges leisten kann. Für mich ist auch wichtig, dass ich ihr mit meiner Art als Trainer weiterhelfen kann. Ich war dann sehr überrascht und glücklich, dass die Anfrage von Karolina kam, weil sie eine ehemalige Nummer eins und ein großer Name ist. Ich fühle mich sehr geehrt und bin dankbar für diese Möglichkeit.
Sie haben selbst angesprochen, dass Ihr neuer Schützling bereits Weltranglistenerste war, ein Grand-Slam-Sieg fehlt ihr allerdings noch in der Vita. Sie stand 2016 schon einmal im Finale der US Open, ganz hat es bislang aber noch nicht gereicht. Was fehlte ihr bislang zum Major-Triumph und an welchen Punkten muss sie arbeiten, um dieses Ziel zu erreichen?
Ich glaube, dass das kein Geheimnis ist: Wenn man jeden anderen Titel auf der Tour geholt und alle Spielerinnen schon einmal geschlagen hat, muss es eine Art mentales Hindernis sein, das sie davon abhält, ihr bestes Tennis bei den Grand-Slam-Turnieren abzurufen. Ich denke oder hoffe zumindest, dass ich ihr dabei helfen kann. Wenn man schon auf dem Gipfel war oder etwas erreicht hat, weiß man, wie es sich anfühlt. Man kann diese Energie dann anderen weitergeben. Das Vertrauen in einen Trainer, der schon einmal mit einer mehrfachen Grand-Slam-Siegerin zusammengearbeitet hat, ist etwas anders. Das klare Ziel ist, ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen. Ich hoffe, dass ich ihr dabei helfen kann. Bislang hat sie sich möglicherweise zu viel Druck gemacht und das werden wir hoffentlich abstellen.
Hat es auch Angebote von anderen Spielerinnen gegeben?
Es gab Angebote von anderen Spielerinnen und auch von Männern. Das hätte mich auch interessiert. Ich will jetzt keine Namen nennen, aber ein paar Anfragen von den Herren waren wirklich reizvoll. Bei den Männern ist es allerdings enorm schwierig, nach oben zu kommen, weil sich die besten drei bis vier Spieler die Titel untereinander aufteilen. Als Trainer hat man aber das Ziel, Titel zu gewinnen. Darum machen wir den Job ja auch. Ich habe jetzt das Glück, eine Spielerin wie Karolina trainieren zu dürfen. Es ist eine geile Aufgabe, weil ich scharf darauf bin, etwas mit ihr zu schaffen, das sie noch nicht erreicht hat. Das finde ich ziemlich cool. Das war bei Caroline Wozniacki ähnlich. Sie hatte vor unserer Zusammenarbeit auch noch nie ein Grand-Slam-Turnier gewonnen. Ich war bei den Australian Open 2018 dann zwar nicht mehr bei ihr, aber das war immer unser Ziel. Sie hat es dann zwei Monate nach unserer Trennung geschafft. Das hat mich riesig gefreut. Ich finde es einfach geil, wenn man ein klares Ziel hat. Karolinas Ziel ist, auf den Grand-Slam-Sieg hinzuarbeiten und sie bringt dafür auch genügend Erfahrung mit. Nachdem ich jetzt mit zwei bis drei jungen Spielerinnen unterwegs war, ist das schon noch einmal ein Unterschied.
Zusätzlich zum mentalen Aspekt wirft man Pliskova auch oft vor, neben ihrem Powertennis keinen Plan B zu haben. Sehen Sie das auch so und wie werden Sie in der Off-Season daran arbeiten?
Ja, ganz klar. Ein Plan B ist sehr wichtig – insbesondere, wenn man ein Grand-Slam-Event gewinnen will. Man kann nicht zwei Wochen lang sein A-Game spielen, das ist unmöglich. Das hat noch nie jemand geschafft und wird auch nicht funktionieren. Vielleicht war es bei Iga Swiatek ein bisschen so. Sie hat bei den French Open den Lauf ihres Lebens geschoben, da kann man nur den Hut ziehen. Normalerweise braucht man aber einen Plan B, vielleicht sogar einen Plan C. Daran arbeiten wir und wir wollen schauen, dass sie es schafft, diese mentale Blockade irgendwie abzulegen und in den wichtigsten Momenten ihr bestes Tennis zu spielen. Das will ich mit ihr erreichen.
Gibt es da auch Unterstützung eines Mentalcoaches oder ist das vorrangig Ihr Part im Team Pliskova?
Das ist der entscheidende Punkt, warum ich dazu gekommen bin. Ich habe auch ein Buch über mentale Stärke geschrieben und ich denke, dass in diesem Bereich mein großer Pluspunkt liegt. Ich sage immer wieder, dass es bestimmt 100 andere Trainer gibt, die vielleicht besser erklären können, wie man eine Vor- oder eine Rückhand spielt – aber eben nicht in den wichtigsten Momenten. Wenn es im dritten Satz 5:5, 40:30 steht, muss man der Spielerin erklären können, worauf sie sich fokussieren muss und was wichtig ist. Das Schwierige ist, dass sich das von Spielerin zu Spielerin unterscheidet. Gewisse Worte oder Sätze helfen einer Spielerin, einer anderen überhaupt nicht – und das, obwohl sie das gleiche Problem haben. Meine Stärke liegt darin, dass ich vielseitig und anpassungsfähig bin. Das hat sich bislang in meiner Trainerkarriere gezeigt. Ich habe zum Beispiel mit Spielerinnen aus Weißrussland, Japan und Dänemark Erfolge gehabt. Das sind alles andere Menschen, andere Charaktere. Darüber hinaus waren sie unterschiedlich alt und andere Spielertypen. Ich habe in den vergangenen 13 bis 14 Jahren so viele Erfahrungen gesammelt und hoffe, dass ich Karolina damit helfen kann.
Es fällt mir einfach schwer, dafür Verantwortung zu übernehmen.
Sascha Bajin über Dayana Yastremskas Ergebnisse nach der Corona-Pause
Nicht ganz so gut lief es allerdings bei Ihrer bis dato letzten Station. Warum konnte Dayana Yastremska mit Ihnen nicht den nächsten Schritt machen?
So schlecht war unser Jahr nicht. Sie hat in Adelaide ihr erstes WTA-Finale gespielt. Auf dem Weg dorthin hat sie Kerber, Vekic, Sabalenka und Babos geschlagen – das war für uns ein unglaublich gutes Ergebnis. Dann kam die Corona-Phase, in der wir uns nicht zusammen vorbereitet haben. Ich habe sie sechs Monate lang nicht gesehen. Wir konnten in dieser Zeit nicht zusammenarbeiten und dann wird es natürlich schwierig. Ich bin ein Trainer, der gerne über das gesamte Jahr bei seinem Schützling ist. Es gibt viele Spielerinnen und Spieler, die einen Coach für nur 25 Wochen im Jahr haben wollen. Das ist vor allem bei den Männern so. Das will ich nicht. Da könnte die geilste Anfrage kommen. Ich will zu 100 Prozent Verantwortung übernehmen – egal, ob es gut oder schlecht läuft. Mit Dayana war ich bei den US Open und in Cincinnati (Turnier fand ebenfalls in New York statt, Anm.), aber wenn ich sie sechs Monate lang nicht sehe, ist das nicht mein Handwerk.
Also war die Corona-Unterbrechung der Hauptgrund für die etwas verkorkste Saison?
Es fällt mir einfach schwer, dafür Verantwortung zu übernehmen. Ich habe aber auch in dieser Situation wieder sehr viel gelernt. Im Großen und Ganzen fand ich die Saison aber nicht so schlimm.
Sie haben sich nach dem Zweitrundenaus bei den US Open getrennt. Sie schrieben in den sozialen Medien danach von unterschiedlichen Pfaden, die sie auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel verfolgt hätten. Was genau haben Sie damit gemeint?
Es ging darum, wie wir ihr Spiel gesehen haben. Ich wollte von ihr gewisse Sachen sehen und habe gedacht, dass ihr die Dinge "A-B-C" helfen. Sie hat gedacht, dass sie eher "D-E-F" weiterbringen. Ich will gar nicht sagen, welche Aspekte ich genau damit meine. Ich behaupte auch nicht, dass ich im Recht bin. Wir haben das einfach unterschiedlich gesehen und sind uns über die Prioritäten nicht einig geworden. Dann ist es schwierig, weiter zusammenzuarbeiten. Dayana hat aber unglaubliches Potential und ich halte nach wie vor extrem viel von ihr als Spielerin. Ich glaube und wünsche ihr auch, dass es irgendwann einmal "Klick" macht. Sie wird ihren Erfolg haben, wenn sie weiß, was für sie wichtig ist.
Für Aufregung sorgte ein Tweet von Ihnen nach Yastremskas Drittrundenmatch beim Turnier von Cincinnati, in dem Sie Ihrem ehemaligen Schützling Naomi Osaka zum Sieg gratulierten und sie als „bessere Spielerin“ an diesem Tag bezeichneten. Yastremska zeigte sich darüber alles andere als erfreut. Hat die Beziehung darunter gelitten oder war dieser Tweet sogar ein Mitgrund für die Trennung?
Nein, das will ich einfach nicht glauben. Ich will jetzt auch gar nicht viel zu dieser Sache sagen, weil es für mich nicht der Rede wert ist. Vielleicht war Dayana etwas genervt, weil ich ausgerechnet Naomi gratuliert habe. Aber ich mache das ja immer. Ich gratuliere dem anderen Team, aber vielleicht hat es sie da etwas mehr gestört. Das war aber nicht der Grund für die Trennung. Es lag wie gesagt eher an den unterschiedlichen Herangehensweisen.
Dennoch: Machen soziale Medien die Zusammenarbeit zwischen Spielern und Trainern schwieriger?
Ja und nein. Ich muss ehrlich sagen, dass ich dieses Social-Media-Getue hasse. Ich kann das im Moment einfach nicht haben. Ich bin seit zwei Jahren auf Instagram und habe vielleicht 20 Posts verfasst. Ich mag das überhaupt nicht. Es gibt so viele Leute, die insbesondere auf Twitter schreiben, dass ich meine Spielerinnen öfter tausche als ein normaler Mensch seine Socken. "Irgendwas kann nicht mit ihm stimmen, der muss ja verrückt sein" – das bekomme ich zu hören. Keiner dieser Menschen hat jemals fünf Minuten mit mir geredet. Sie verstehen nicht, dass eine meine Spielerinnen schwanger war (Victoria Azarenka, Anm.) und eine sich verletzte (Sloane Stephens, Anm.). Caroline wollte dann nicht mehr mit mir weitermachen. Das waren allesamt Entscheidungen der Spielerinnen. Es nervt schon ein bisschen, wenn man nicht weiß, wie man in den sozialen Medien damit umgehen soll. Mittlerweile habe ich aber gelernt, dass mich das nicht mehr jucken darf. Ich mache das aus Respekt und weil es dazugehört, nach Niederlagen zu gratulieren. Man wünscht seinem Gegner alles Gute. Ich würde aber auch jetzt bei Karolina sagen, dass ich zum Beispiel stolz auf sie bin. Ich möchte das eigentlich mit der Welt teilen, weil die Leute, die mir oder Tennisspielern in den sozialen Medien folgen, unsere Zuschauer sind. Sie schalten den Fernseher ein und kaufen Tickets. Deswegen mache ich das. Ich würde auch gerne viel mehr machen, wenn dieses Ekelhafte nicht dabei wäre. Da machen Menschen dich fertig! Als ich zum Beispiel in New York war und etwas über George Floyd geschrieben habe, wurde ich in den Medien auseinandergenommen. Der Tweet wurde komplett falsch verstanden. Deswegen bin ich kein Fan von Social Media.
Insbesondere in der Corona-Zeit zeigte sich aber auch die Macht, die soziale Medien haben. Viele Spieler erhielten beispielsweise über Twitter Updates zu anstehenden Turnieren und kritisierten die schlechte Kommunikation der ATP und WTA. Das war auch ein Punkt, den Sie bereits im März nach der Absage von Indian Wells ansprachen. Wie hat sich Ihrer Meinung nach die Kommunikation mit der WTA und den Grand-Slam-Turnieren über die Monate entwickelt?
Ich muss sagen, dass die Kommunikation viel besser geworden ist. Ich habe es bei den US Open aber zum Beispiel schlecht und komisch gefunden, dass ich auf Twitter erfahren habe, dass Benoit Paire positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Wir waren alle im gleichen Hotel. Ich habe nachgefragt und mir wurde gesagt, dass keine medizinischen Informationen weitergegeben werden dürfen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass sie uns dennoch irgendwie informiert hätten, denn Kommunikation ist wirklich wichtig. Das ist auch einer der wenigen Gründe, warum ich noch auf Twitter bin. Bis auf solche Informationen und toxische Kommentare gibt es dort allerdings nichts.
Die mangelhafte Kommunikation ist auch einer der größten Kritikpunkte der Spieler. Vor wenigen Monaten wurde auch deshalb die PTPA gegründet. Wie stehen Sie zu diesem Projekt?
Ich bin für das, was für die Spieler gut ist. Ich weiß aber zu wenig, um eine richtige Meinung zu diesem Thema zu haben. Ich müsste mich mit einem Turnierdirektor und einem Supervisor hinsetzen, um mir ihre Sicht der Dinge erklären zu lassen. Die kenne ich nicht genau. Ich weiß, warum die Spieler genervt sind, weil ich als Trainer in dem gleichen Boot wie sie sitze. Ich stehe deswegen hinter dem, was den Spielern hilft.
Immer wieder wurde betont, dass die PTPA in Zukunft auch für Damen geöffnet werden soll. Haben Sie mit Karolina Pliskova darüber geredet? Was ist ihre Meinung?
Ich habe mit ihr noch nicht darüber gesprochen. Wir befinden uns in der dritten Vorbereitungswoche. Wir reden über Vorhand, Rückhand und Beinarbeit. Es gibt nicht viel Zeit, andere Dinge zu besprechen. Wir sind an jedem Abend todmüde und es gibt nicht viel zu fragen, außer, wann die nächste Trainingseinheit stattfindet und was man zu Mittag und am Abend essen möchte. Das war's dann schon.
Generell finde ich, dass wir das Ranking-System für die Fans vereinfachen müssen.
Sascha Bajin will den Tennissport für Zuschauer attraktiver machen
Derzeit scheint es im Tennis eine Annäherung zwischen Frauen und Männern zu geben. Bereits im April sprachen sich unter anderem Rafael Nadal und Roger Federer für eine Fusion von ATP und WTA aus. Wie stehen Sie zu einer möglichen Zusammenlegung der zwei Spielergewerkschaften?
Dafür weiß ich leider zu wenig. Ich will ungern eine Meinung abgeben, wenn ich nicht alle Hintergründe kenne. Ich weiß nicht, wie viel ATP und WTA einnehmen, welche Kosten sie haben und so weiter. Es gibt zigtausend Faktoren, die da berücksichtigt werden müssen. Leider kann ich deswegen dazu nichts sagen.
Bleiben wir dennoch noch kurz politisch. Ab dem nächsten Jahr werden Frauen-Turniere analog zur jenen der Männer benannt werden. Für einige Verwirrung sorgte allerdings, dass die Punkte für einen Turniersieg nicht der Turnierkategorie entsprechen. So bekommt man zum Beispiel bei einem WTA-500-Event 470 Zähler für den Sieg, bei einem WTA-250-Turnier 280. Macht sich der Tennissport durch solche Absurditäten nicht selbst kaputt?
Generell finde ich, dass wir das Ranking-System für die Fans vereinfachen müssen. Es gab zuvor die Kategorien Tier-I, Tier-II und Tier-III, jetzt gibt es die von Ihnen angesprochenen Turniere. Sogar ich muss schauen, was jetzt mit den Events los ist und mich über die Punktevergabe updaten. Ich weiß auch nicht, warum sie das gemacht haben. Ich befasse mich damit aber nicht allzu sehr. Für mich ist es wichtig, dass meine Spielerin bereit ist, die 470 oder die 280 Punkte zu holen. Mein Job ist, die Spielerin darauf vorzubereiten, aber natürlich ist das etwas verwirrend. Ich weiß nicht, ob es den normalen Fan stört, aber irritierend ist es für uns schon.
Die WTA agierte auch in der Corona-Zeit nicht allzu glücklich. Während der Turnierplan auf der ATP-Tour im Herbst doch einigermaßen normal war, fanden nach den French Open bei den Damen nur mehr die Events in Ostrava und Linz statt. Warum hat die WTA es nicht geschafft, den Spielerinnen Turniereinsätze zu ermöglichen?
Ich kenne die Hintergründe nicht genau. Auch hier gibt es wieder viele Faktoren, die es zu berücksichtigen gilt. Man kann nicht einfach so ein Turnier veranstalten. Das muss alles mit den Vorschriften des jeweiligen Landes übereinstimmen – insbesondere während der Corona-Krise. Gewisse Sachen waren daher wirklich nicht leicht. Für mich persönlich war es ganz gut, da ich so eine längere Pre-Season mit Karolina habe. Sie ist eine neue Spielerin für mich und ich habe sie zuvor nicht allzu gut gekannt. Karolina hat in Ostrava gespielt und hatte dann drei Wochen Pause. Jetzt sind wir hier in Marbella und trainieren schon wieder. Im Endeffekt war es in unserem Fall okay.
Der Mangel an Turnieren trifft natürlich auch Spieler und Trainer hart. Sie haben vor einigen Monaten gesagt, dass es Ihnen finanziell gut gehe, bei vielen Ihrer Kollegen ist das wohl anders. Wie groß ist der Schaden des Coronavirus für den Tennissport?
Es ist wirklich schrecklich! Ich habe noch viele Jungs in München, die Tennisstunden geben. Jetzt geht das nicht mehr, weil die Hallen zu sind. Sie können nichts machen. Ich bin unglaublich dankbar und glücklich, dass ich ein bisschen Geld auf der Seite habe und mir keine Gedanken darüber machen muss, wie lange morgen das Licht in meinem Haus brennen darf. Es gibt genügend Coaches – auch auf der Tour –, die Probleme haben. Sie verdienen nicht so viel. Wenn man mit der Weltranglisten-40. unterwegs ist, verdient man nicht so gut, dass man sechs Monate lang nichts machen kann. Ich bin ja alleine. Ich habe keine Kinder, keine Frau. Vielleicht bin ich im Gesamtpaket deshalb ein bisschen billiger. Ich muss keine Familie ernähren. Bei manchen Trainern ist das anders. Das macht einen Riesenunterschied.
Das Coronavirus hat auch den Amateursport enorm getroffen, viele Jugendliche können in der Freizeit nicht mehr ihrem Sport nachgehen. Besteht im Tennis die Gefahr, dass durch COVID-19 eine Spielergeneration verloren geht?
Ich glaube, dass das leicht passieren kann. Ich merke es zum Beispiel bei meiner Nichte. Sie ist zehn Jahre alt und nicht im BTV-Kader (Bayerischer Tennis-Verband, Anm.). Sie macht das ein bisschen nebenbei, hat aber wirklich Lust, zu spielen. Sie spielt in der Woche drei- bis viermal Tennis, die Schule geht bei ihr aber vor. Meine Schwester wollte daher nicht, dass sie zum BTV geht. Weil sie nicht dort ist, darf sie jetzt sehr lange nicht Tennis spielen – außer draußen. Seit zwei Monaten kann man das aber nicht mehr machen, weil die Plätze nicht mehr bespielbar sind. Viele Kinder werden in dieser Zeit die Lust verlieren und danach gar nicht mehr anfangen. Ich bin mir sehr sicher, dass da ein paar gute Talente, die wirklich etwas hätten erreichen können, untergehen und leider verschwinden werden.
Für die Profis wird es wohl in Australien weitergehen. Derzeit plant man laut Medienberichten mit einem Start am 8. Februar. Wie sieht Ihr letzter Stand der Dinge aus?
Das darf ich leider nicht verraten. Ich habe sogar extra eine E-Mail bekommen. Da sieht man es: Mit guter Kommunikation geht viel. Wir werden am Laufenden gehalten, aber wir dürfen nichts über die Entwicklungen in Australien verraten. Das tut mir leid.
Kein Problem. Dem Vernehmen nach dürfte es aber zumindest nicht allzu schlecht aussehen.
Wir bleiben positiv.
Gibt es unter diesen Vorzeichen überhaupt schon einen Plan für die ersten zwei Monate des kommenden Jahres? Wenn ja, wie sieht dieser aus?
Ich weiß nicht, ob es im Januar schon ein Turnier geben wird. Die meisten Profis werden da in Dubai sein. Ich habe gesehen, dass sechs, sieben, acht Spielerinnen dort sein werden. Von Dubai gibt es auch viele Flüge nach Australien. Unser Ziel ist, nach Weihnachten dort hinzugehen, wo viele Spielerinnen sind. Da kann man dann zehn Trainingsmatches hintereinander spielen. Das wäre mehr als bei ein bis zwei Turnieren. Wir werden trainieren, Matches spielen und dann analysieren. Wenn die Australian Open anstehen, werden wir hinfliegen und hoffentlich den Grand-Slam-Sieg holen.
Das heißt, dass Sie in Australien sicher dabei sein werden?
Wenn das Turnier stattfindet und Gott und Karolina es wollen, werde ich dabei sein. Ich habe mir den Januar und den Februar bisher freigehalten (lacht). Das Ziel ist ja auch, langfristig mit einer Spielerin zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, dass es jetzt endlich so weit ist.
Ich glaube, dass er noch viel mehr leisten kann.
Sascha Bajin traut Landsmann Alexander Zverev einiges zu
Ihre Erinnerungen an Australien könnten durchaus schlechter sein. 2019 durften Sie an der Seite von Naomi Osaka mit dem Triumph in Melbourne einen großen Erfolg feiern. Damals agierte sie noch eher schüchtern, bei den US Open 2020 setzte sie sich dann lautstark im Kampf gegen strukturellen Rassismus in den USA ein. Wie sehen Sie ihre Entwicklung, insbesondere außerhalb des Platzes?
Naomis Entwicklung ist ein Wahnsinn. Als wir begonnen haben, hatte sie gefühlt noch vor der ganzen Welt Angst. Sie hatte Angst davor, was die Außenwelt von ihr denkt – gerade, wenn sie nicht gut gespielt hat. Sie hat sich zu viele Gedanken gemacht. Ich habe ihr gesagt, dass es nichts gibt, wofür sie sich schämen oder vor dem sie Angst haben muss. Wir haben in den Trainingseinheiten dann kleine Spielchen gemacht, nach denen ich mich bei Niederlagen lächerlich gemacht habe, um ihr zu zeigen, dass da nichts dabei ist. Wenn du einmal schlecht Tennis spielst, musst du nicht darüber nachdenken, was der Zuschauer denkt. Das ist völlig egal. Man muss sich auf sich selbst konzentrieren. Ich finde es schön zu sehen, wie sie sich entwickelt hat und dass sie ihre Plattform nutzt, um Aufmerksamkeit auf wichtige Themen zu lenken. Ich war immer der Überzeugung, dass ihr Mindest auf dem Platz das größte Hindernis ist. Für mich fangen Sachen aber immer abseits des Courts an. Was man außerhalb des Platzes hat, nimmt man in ein Match mit. Man kann nicht schlecht gelaunt sein und dann auf einmal unbeschwert in eine Partie gehen. Dinge starten abseits des Courts und die transportierst du dann auf diesen mit. Sie sollte beim Stadtspaziergang nicht auf den Boden schauen, sondern geradeaus. Sie musste nicht hochschauen oder die Nase nach oben, links oder rechts richten. Ich habe versucht, ihr die Welt ein bisschen zu öffnen. Es freut mich, dass das gelungen ist.
Natürlich darf ein Interview mit Ihnen nicht enden, ohne den Namen Ihrer langjährigen Chefin Serena Williams zu nennen. Wird sie irgendwann den so langersehnten 24. Grand-Slam-Sieg holen?
Es wird immer schwieriger. Eine Sekunde ist eine Sekunde für alle Menschen – leider selbst für jemanden wie Serena. Umso älter du wirst, desto größer ist die Belastung für dich. Aber solange Serena auf den Platz gehen und einen Schläger halten kann, glaube ich, dass sie den 24. Titel erreichen kann.
Apropos Grand-Slam-Titel: Ihr Landsmann Alexander Zverev hat bei den Major-Turnieren einen großen Sprung gemacht und beinahe bei den US Open triumphiert. Wie bewerten Sie seine Entwicklung und was trauen Sie ihm in den kommenden Jahren zu?
Seine Entwicklung ist unglaublich. Das freut mich auch sehr für ihn. Ich bin ein Fan von ihm und mag, wie er spielt. Ich hoffe, dass ihm die US Open das nötige Selbstvertrauen gegeben haben. Er ist für seine Größe sehr athletisch und ich glaube, dass er noch viel mehr leisten kann – insbesondere auf den wieder schneller werdenden Hartplätzen. Das dürfte seinem Spiel sogar entgegenkommen.
Wenn wir schon bei Blicken in die Zukunft sind: Wie sehen die Top 3 bei den Herren am Ende der nächsten Saison aus?
Ich sage, dass Novak Djokovic vor Dominic Thiem und Daniil Medvedev liegen wird.
Und bei den Damen?
Wenn ich jetzt nicht Karolina sage, schieße ich mir selbst ins Bein. Ich sage Pliskova auf eins und glaube auch ganz fest daran, dass ich ihr helfen kann. Jetzt muss ich aufpassen. Die Plätze zwei und drei weiß ich nicht. Mich interessiert nur Position eins und ich hoffe, dass wir darauf liegen werden. Das soll jetzt aber nicht großkotzig klingen (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Nikolaus Fink