"Tennis von einem anderen Stern"
Im Finale der ATP-WM kam es am 24. November 1996 zu einem Jahrhundertmatch zwischen dem Deutschen und dem US-Amerikaner. tennisnet.com blickt auf das Spiel zurück.
von Christian Albrecht Barschel
zuletzt bearbeitet:
26.11.2017, 08:05 Uhr
Von Christian Albrecht Barschel
Im Jahre 1996 war die Welt in Tennis-Deutschland noch in Ordnung. Steffi Graf regierte das Damentennis nach Belieben. Und auch bei den Herren sah es noch lange nicht nach einem Abwärtstrend aus. Boris Becker erlebte seinen zweiten Frühling und schaffte bei der ATP-Weltmeisterschaft in Hannover den Einzug ins Finale gegen Pete Sampras. Es wurde eines der besten und hochklassigsten Tennismatches aller Zeiten, das Tennis von einem anderen Stern bot.
Die Stadt Hannover war 1996 zum ersten Mal Ausrichter der ATP-Weltmeisterschaft, die zuvor sechs Jahre lang in Frankfurt stattgefunden hatte, und nun für vier Jahre in der Landeshauptstadt von Niedersachsen ausgetragen werden sollte. Das deutsche Publikum war es gewohnt, dass zumindest ein deutscher Spieler beim Turnier der acht besten Profis des Jahres vertreten war und dieser dort auch für Furore sorgte. 1992 siegte Boris Becker, 1993 Michael Stich und 1995 wiederum Becker bei der ATP-WM.
Becker vs. Sampras bereits in der Gruppenphase
Dem deutschen Tennisfan wurde es also äußerst leicht gemacht. Und auch 1996 war mit Becker wieder ein deutscher Spieler bei der Premiere in Hannover am Start. Einige Wochen zuvor konnte sich der Leimener mit einem Sieg im Finale gegen Sampras beim Masters-Turnier in Stuttgart endgültig für die Weltmeisterschaft qualifizieren. Kurze Zeit später sollten sich die Schläger der beiden erneut kreuzen und in einem wahren Tennisgipfel münden.
Bereits in der Gruppenphase trafen sich die Wege von beiden Akteuren. Der Leimener siegte dort zweimal im Tiebreak und erreichte damit das Halbfinale. Aber auch Sampras schaffte es trotzdem in die Vorschlussrunde. In den jeweiligen Halbfinals wurde beiden Spielern alles abverlangt. Becker rang Richard Krajicek nieder und der 25-jährige US-Amerikaner setzte sich gegen die Ass-Maschine Goran Ivanisevic durch.
Das Finale und ein erneuter Blockbuster, wie es so schön in der Tennissprache heißt, waren damit perfekt. Boten die beiden vorherigen Spiele zwischen den beiden schon allerhöchste Unterhaltung, sollte das Finale im Bezug auf Genuss und Spektakel noch einen draufsetzen.
"So ein Gefühl hatte ich noch nie"
Die Messehalle 2 in Hannover war mit 15.000 Zuschauern rappelvoll und feierte ihren Helden schon beim Betreten des Platzes mit "Boris, Boris"-Sprechchören. "Ich hatte eine dicke Gänsehaut. Es war wirklich unbeschreiblich. So ein Gefühl hatte ich auf einem Tennisplatz noch nie. Ich musste meine Gefühle zügeln, damit ich mich wirklich auf das Match konzentriere und nicht schon das Glücksgefühl auf dem Platz bekomme", meinte Becker später zur unglaublichen Atmosphäre in der Messehalle.
Das Match begann auch gleich mit einem Paukenschlag. Im ersten Spiel hatte Becker Aufschlag und servierte gleich zu Beginn vier Asse in Folge und zeigte dem US-Amerikaner, dass er gewillt war, seinen Weltmeistertitel aus dem Vorjahr zu verteidigen und Titel Nummer vier hinzuzufügen. Der Rotschopf lief schon früh zur Hochform auf und breakte Sampras mit zwei blitzsauberen Returnwinnern zum 3:1.
Das Break transportierte der 29-jährige Deutsche bis zum 5:3, wo er sich nach einem sehenswerten Volleystopp den ersten Satzball erspielte und kurze Zeit später mit einem Rückhandschuss aus vollem Lauf die Linie entlang den ersten Satz mit 6:3 gewann. Die Zuschauer waren schon jetzt aus dem Häuschen und erhoben sich von ihren Sitzen - vielleicht auch in der Vorahnung, was noch kommen sollte.
Sampras schlägt im Tiebreak zurück
Becker gab auch zu Beginn des zweiten Satzes den Ton in der Partie weiter an. Es war aber der Weltranglisten-Erste, der die ersten Breakchancen besaß. Doch der Aufschlag rettete den Deutschen aus dieser brenzligen Situation. Beide Spieler gaben sich weiter keine Blöße bei ihren Aufschlagspielen, so dass der Tiebreak entscheiden musste. Bei 3:2 erspielte sich Sampras das entscheidende Minibreak, das er nicht wieder hergeben sollte. Mit einem Volleywinner sorgte der US-Amerikaner für den Satzausgleich und ballte zum ersten Mal die Faust.
Das Match nahm nun von Minute zu Minute weiter an Fahrt auf. Weder Sampras noch Becker leisteten sich so gut wie keine leichten Fehler. Fast jeder Punkt wurde sehenswert herausgespielt. Bei 3:2 im dritten Satz hatte Becker zwei Breakchancen. Doch "Pistol Pete" machte seinem Namen alle Ehre und wehrte beide Möglichkeiten mit einem Ass ab.
Es ging erneut in den Tiebreak, in dem der Weltranglisten-Erste sich gleich den ersten Punkt bei Aufschlag des Deutschen ergatterte. Becker schlug zurück und passierte Sampras zum 3:4. Alles war wieder offen. Der Leimener servierte bei 4:4 einen Doppelfehler, so dass Sampras auch den dritten Satz mit 7:4 im Tiebreak für sich entscheiden konnte.
Offener Schlagabtausch und wieder der Tiebreak
Der vierte Durchgang begann mit einem temperamentvollen Auftakt. Becker gelangen drei direkte Returnwinner in Folge. Zwei Breakchancen waren da, das Publikum tobte. Doch Sampras bewahrte die Ruhe und bewies erneut Nervenstärke. In der Folgezeit lieferten sich beide einen offenen Schlagabtausch. Jeder Ballwechsel bot allerhöchsten Tennisgenuss. Sowohl Becker als auch Sampras antizipierten äußerst stark am Netz und glänzten mit ihrem gesamten Repertoire. Wieder musste der Tiebreak die Entscheidung bringen, der an Spannung kaum zu überbieten war und einer Achterbahn glich.
Becker gelang gleich beim ersten Punkt das Minibreak. Beim nächsten Punkt war der Vorteil aber gleich wieder futsch. Und es kam noch schlimmer aus der Sicht des Deutschen. Ein missglückter Becker-Hecht brachte Sampras mit 2:1 in Führung. Doch der US-Amerikaner zeigte Nerven und verschlug leichtfertig eine Vorhand zum 2:2. Der Leimener schaffte erneut das Minibreak zum 5:3. Doch dann erspielte sich Sampras drei Punkte in Folge, der bei 6:5 und eigenem Aufschlag seinen ersten Matchball hatte. Doch Becker wehrte diesen ab, um gleich danach selbst beim Stand von 7:6 zum Satzgewinn zu servieren. Erneut vergebens.
Dramatik in der Messehalle
Bei 8:7 der zweite Satzball für Becker, den Sampras wieder zunichte machte und sich bei 9:8 seinem zweiten Matchball gegenüber sah. Abgewehrt. Nach einem langen Ballwechsel machte der Weltranglisten-Erste einen leichten Vorhandfehler. 10:9 Becker und der dritte Satzball für den Deutschen. Wieder abgewehrt. Becker passierte Sampras zum 11:10 und hatte nun seinen vierten Satzball mit eigenem Aufschlag.
Doch Sampras konterte ein weiteres Mal. Weiter ging es. 12:11 Becker. Der Druck lag wieder beim US-Amerikaner. Und dann war es endlich passiert. Sampras unterlief ein äußerst leichter Volleyfehler. 13:11 und der Satz für Becker. Die Messehalle glich einem Tollhaus und keinem hielt es mehr auf den Stühlen. Laute "Boris, Boris"-Sprechchöre dröhnten wieder durch die Halle und alle waren sich, dass ihr deutscher Liebling jetzt die Partie gewinnen würde.
"Das beste Tennismatch meines Lebens"
Im alles entscheidenden fünften Satz gaben sich beide Akteure bis zum 4:4 bei ihren Aufschlagspielen keine Blöße. Jeder rechnete wohl damit, dass es auch in diesem Satz zum finalen Tiebreak kommen würde. Doch dann gelang Sampras sein allererstes Break im Match zum 5:4. Im anschließenden Aufschlagspiel nutze der US-Amerikaner dann seinen vierten Matchball. Nach einem endlosen Ballwechsel und exakt vier Stunden Spielzeit war Sampras am Ziel angekommen: ATP-Weltmeister! Das Match hatte einen würdigen Abschluss bekommen und die Medien jubelten tags darauf über "Tennis von einem anderen Stern."
Becker und Sampras boten wirklich Tennis aus der Wunderkiste. Tennis zum träumen, staunen, klatschen und zittern. Und selbst Verlierer Becker war danach zum Scherzen aufgelegt. "Haben wir eigentlich schon Tag oder ist schon Nacht? Ich habe völlig die Orientierung verloren", kommentierte er seinen Gemütszustand, um noch hinzuzufügen. "Jetzt mal im Ernst. Das war mein bestes Tennismatch, was ich in meinem Leben gespielt habe. Ich bin sehr stolz darauf." Schade für alle deutschen Fans, dass "Pistol Pete" an diesem Tag noch einen kleinen Tick besser war.